Wien/Brüssel/Rom/Berlin – Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl hat sich gegen die massenhafte Aufnahme von Flüchtlingen in Europa gewandt. "Europa kann nicht zur neuen Heimat für Millionen Menschen weltweit in Not werden", schreibt Kohl laut "Tagesspiegel am Sonntag" in einem Vorwort zur ungarischen Ausgabe seines Buches "Aus Sorge um Europa". Kohl trifft am Dienstag mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban zusammen, der einer der schärfsten Kritiker von Kanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingskrise ist.

"Die Lösung liegt in den betroffenen Regionen. Sie liegt nicht in Europa", schreibt Kohl weiter. "Europa kann nur Hilfe zur Selbsthilfe leisten." Er plädierte dabei für mehr Gemeinsamkeit in der EU. Die Größe der Aufgabe mache es schwer genug. "Wir sollten weder bei unseren Bürgern noch bei den Flüchtlingen falsche Erwartungen wecken." Es brauche mehr Verlässlichkeit und Vertrauen. "Einsame Entscheidungen, so begründet sie dem Einzelnen erscheinen mögen, und nationale Alleingänge müssen der Vergangenheit angehören."

Faymann für Transitvisa

Deutschland, wenn es fortgesetzt eine große Zahl aufnehmen wolle, soll nach dem Willen von Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ), Flüchtlingen "an der EU-Außengrenze oder außerhalb der Europäischen Union" Transitvisa ausstellen. "Das ist die einzige Möglichkeit, um zu verhindern, dass es zu unkontrollierten Einreisen kommt", zitierte ihn der "Kurier" (Samstag).

In Transitvisa sieht der Kanzler "die einzige Möglichkeit, um kontrollierte Einreisen nach Deutschland zu gewährleisten". Denn sollte Italien Flüchtlinge weiter durchwinken, kämen sie zeitnah am Brenner an. "Deshalb müssen wir vorbereitet sein und verhindern, dass Österreich zur Pufferzone für Deutschland wird." Ein Ansturm von Flüchtlingen, wie es ihn im Herbst im Burgenland und der Steiermark gegeben habe, werde am Brenner nicht stattfinden. Faymann rief die anderen EU-Partner laut "Kurier" auf, ebenfalls "vorbereitet zu sein": "Wer behauptet, ohne Limitierung Flüchtlinge aufnehmen zu können, sagt nicht die Wahrheit."

Oettingers Ablehnung

Unter die Kritiker eines möglichen Grenzmanagements durch Österreich an der Brenner-Grenze zu Italien gesellte sich unterdessen EU-Kommissar Günther Oettinger: Dem Nachrichtenmagazin "profil" sagte der deutsche Christdemokrat für die am Montag erscheinenden Ausgabe laut Vorausmeldung: "Ich halte Grenzkontrollen am Brenner momentan für völlig unangebracht. Der Brenner ist der wirtschaftlich wichtigste Alpenpass für den Gütertransport, aber auch für Pendler und Urlauber. Auch deswegen sollte man Kontrollen dort möglichst vermeiden."

Da Italien mithilfe der EU sowohl für die Registrierung von Flüchtlingen als auch für mehr Plätze in Erstaufnahme-Zentren sorge, gehe die EU-Kommission davon aus, "dass Italien nicht mehr wie 2014 und 2015 Asylwerbern ohne Registrierung den Weg nach Bozen, nach Österreich und weiter nach Bayern weisen wird", erklärt der für digitale Wirtschaft und Gesellschaft zuständige EU-Kommissar.

Mogherini: "Österreich soll keine Mauern errichten"

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat indes an Österreich in Sachen Flüchtlingspolitik appelliert, "keine Mauern zu errichten". Bei einem Besuch auf der italienischen Insel Lampedusa rief Mogherini die Österreicher auf, ihre Offenheit und Aufnahmebereitschaft gegenüber den Flüchtlingen zu zeigen, wie sie dies im vergangenen Sommer bewiesen hatten.

Mogherini, die auf Lampedusa das Flüchtlingslager besuchte und Bürgermeisterin Giusy Nicolini traf, äußerte die Hoffnung, dass die österreichische Regierung ihre Position in der Flüchtlingspolitik samt geplanter Grenzmaßnahmen zu den südlichen Nachbarn überdenken werde, berichteten italienische Medien. (APA, Reuters, 16.4.2016)