Lesbos/Vatikanstadt – Papst Franziskus hat nach einem fünfstündigen, symbolträchtigen Besuch auf der griechischen Insel Lesbos eine Gruppe von zwölf syrischen Flüchtlingen – drei Familien, darunter sechs Kinder – mit in den Vatikan genommen. Sie werden vorerst von der Gemeinde Sant'Egidio in Rom betreut.
Es handle sich um eine "Geste des Willkommens für Flüchtlinge", erklärte der Vatikan. Den Angaben zufolge handelt es sich bei den Menschen um Muslime. Die Familien aus Damaskus und Deir al-Zor seien vor dem Inkrafttreten des umstrittenen Flüchtlingsabkommens zwischen der Europäischen Union und der Türkei auf Lesbos angekommen.
Plätze verlost
Laut der Nachrichtenagentur Reuters wurden die Plätze verlost. Ursprünglich habesich eine christliche Familie qualifiziert, die dann aber nicht ins Flugzeug durfte, weil "etwas mit ihren Papieren nicht in Ordnung war".
Der Papst rief am am Samstag in einem Flüchtlingszentrum auf Lesbos die internationale Gemeinschaft auf, mit Menschlichkeit auf die Flüchtlingskrise zu reagieren. Besonders die Europäer müssten "mit Respekt für die Menschenwürde" handeln.
"Ihr seid nicht allein"
Begleitet wurde er vom Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, dem Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie Bartholomäus I. und dem Athener Erzbischof und Primas der orthodoxen Kirche von Griechenland, Hieronymos (Hieronymus) II. Franziskus sprach den Flüchtlingen in dem Registrierungszentrum Moria bei Mytilini Mut zu. "Ihr seid nicht allein, liebe Freunde, verliert die Hoffnung nicht!", sagte der Papst, der in Moria mit Rufen wie "Freiheit" und Schildern mit der Aufschrift "Hilfe" empfangen wurde. Die Weltgemeinschaft müsse gemeinsam eine Antwort auf die aktuelle Flüchtlingskrise finden, betonte das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche.
"Mögen euch alle unsere Brüder und Schwestern auf diesem Kontinent wie der gute Samariter zu Hilfe kommen!", sagte der Papst. Der "Geist der Brüderlichkeit, der Solidarität und des Respekts für die Menschenwürde" habe die lange Geschichte des europäischen Kontinents geprägt, betonte er in einer indirekten Kritik an jenen EU-Staaten, die sich gegen eine Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU sträuben.
Kritik von Tsipras
Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras kritisierte bei einem kurzen Treffen mit Franziskus "gewisse europäische Partner, die im Namen des christlichen Europas Mauern errichtet haben", und schloss damit wohl Österreich mit ein, das die Schließung der Balkanroute betrieben hatte. Das hatte zu einer schweren Verstimmung zwischen Wien und Athen geführt.
Bartholomäus sagte, "die Welt wird beurteilt werden nach der Weise, wie sie euch behandelt hat". Wer die Flüchtlinge fürchte, "hat euch nicht in die Augen geschaut, (...) hat nicht eure Kinder gesehen".
Die drei Kirchenoberhäupter unterzeichneten auf Lesbos eine gemeinsame Erklärung, in der sie die Staatengemeinschaft auffordern, der "gewaltigen humanitären Krise" mit Mut zu begegnen. Auch die "tieferen Gründe" für die massenhafte Flucht müssten mit diplomatischen, politischen und karitativen Anstrengungen im Nahen Osten und in Europa angegangen werden, hieß es.
"Skrupellose Schurken"
Franziskus erinnerte später im Hafen von Mytilini mit Hieronymos und Bartholomäus an die Hunderten von Flüchtlingen, die "skrupellosen Schurken" zum Opfer gefallen seien. Auf der Überfahrt vom türkischen Festland ertranken allein heuer bereits 375 Flüchtlinge in der Ägäis. Allerdings ging die Zahl der Flüchtlinge sowie der Opfer deutlich zurück, seitdem am 20. März der Flüchtlingspakt der EU mit der Türkei in Kraft trat.
"Wir sind alle Emigranten", sagte Franziskus, der selbst ein Enkel von nach Argentinien ausgewanderten Italienern ist. Flüchtlinge seien keine Zahlen, sondern Menschen mit "Gesichtern, Namen und individuellen Geschichten", mahnte der Papst. Er verurteilte die Errichtung von Mauern, die nur zu Spaltung und Streit führten, und forderte entschlossene Schritte gegen Waffenschmuggel.
Menschenunwürdige Unterbringung
Im Lager Moria befinden sich derzeit rund 3.000 Flüchtlinge. Hilfsorganisationen kritisieren die Unterbringung in dem sogenannten Hotspot als menschenunwürdig. Mehr als eine halbe Million Flüchtlinge reiste vergangenes Jahr über Lesbos nach Griechenland ein. Seit Beginn des heurigen Jahres trafen nach Uno-Angaben bereits knapp 90.000 Menschen auf der Ägäis-Insel ein, ein Drittel davon Kinder.
Gemäß dem Flüchtlingspakt der EU mit der Türkei werden seit dem 20. März aber sämtliche Flüchtlinge in die Türkei zurückgeschickt, deren Asylantrag in Griechenland nicht angenommen wurde. Im Gegenzug für die Rücknahme der Flüchtlinge haben die EU-Länder zugesagt, für jeden zurückgeschickten Syrer eine anderen syrischen Flüchtling auf legalem Weg aus der Türkei aufzunehmen – bis zu einer Obergrenze von 72.000. (APA, red, 16.4.2016)