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Matschiner lebt noch immer in Laakirchen, seine Telefonnummer hat er nie geändert.

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Bei der Hallen-Staatsmeisterschaft 2002 im Wiener Dusikastadion lief Matschiner in 3:45,50 Minuten zum Titel über 1500 m. Es war einer der Höhepunkte in der sportlichen Laufbahn des Oberösterreichers.

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Laakirchen/Wien – Stefan Matschiner ist wieder gut im Geschäft. Das Gespräch klappt erst im dritten Anlauf. Eine Besprechung und ein Geschäftsessen kamen dazwischen. Seit drei Jahren arbeitet der 40-jährige Oberösterreicher bei einer Maschinenbaufirma in Linz. Zuständig ist er für Projektabwicklung und Vertrieb. "Ich bin die rechte Hand des Geschäftsführers", sagt er. Die rechte Hand ist viel unterwegs. "50 Prozent der Zeit." Zuletzt war er in Kanada und in Kärnten.

Trotzdem, kein Vergleich zu früher. Die Zeit zwischen 2001 und 2009 sei "völlig verrückt" gewesen. Es war die Zeit, in der der bis dahin unbescholtene Bürger Matschiner mit illegalen Mitteln hantierte. Doping. Zunächst als aktiver Sportler, dann als Manager. In letzterer Funktion erlangte der Laakirchener wesentlich größere, wenn auch zweifelhafte Berühmtheit. Als Mittelstreckenläufer war er keine große Nummer. Als Dopinghändler schon. Deutsche Medien nannten ihn die "Spinne im Dopingnetzwerk".

Ende März 2009 landete die Spinne nach einer Razzia in Matschiners Wohnhaus in Untersuchungshaft. Fünf Wochen in der Justizanstalt Wien-Josefstadt. Grund: "Tatausführungs- und Verdunkelungsgefahr." Im Oktober 2010 wurde er wegen Blutdopings zu einem Monat unbedingt und 14 Monaten bedingt verurteilt. Der Gefängnisaufenthalt von 2009 wurde ihm angerechnet, er war also ein freier Mann.

Betten gemacht für Julius Meinl

Im Gefängnis musste der gehetzte Manager zwangsweise runterkommen. "Am Anfang habe ich ständig mein Handy läuten gehört, dabei hatte ich keines dabei." Matschiner war damals nicht der berühmteste Insasse in der Josefstadt. Auf dem Gang begegnete ihm Alfons Mensdorff-Pouilly. Zwei Nächte lang war Julius Meinl V. sein Zellengenosse. "Der war wirklich schräg." Und etwas unbeholfen. Matschiner überzog ihm das Bett, schnitt ihm das Brot. "Er hat mich gefragt, ob wir nicht etwas vom Meinl am Graben für uns kommen lassen könnten."

Ein halbes Jahr davor, 15. Oktober 2008: Matschiner an der Seite von Bernhard Kohl. Der Radrennfahrer, Gewinner der Bergwertung und Gesamtdritter der Tour de France 2008 legt ein tränenreiches Dopinggeständnis ab. Matschiner versorgte Kohl, die Triathletin Lisa Hütthaler sowie weitere Sportler mit Epo, Testosteron und Wachstumshormonen. Kohls positiven Test beschreibt Matschiner als eines der schlimmsten Erlebnisse seiner Managerkarriere. Mit dem Niederösterreicher pflegt er keinen Kontakt mehr. "Sein Horizont ist meiner Meinung nach beschränkt. Ich wüsste nicht, worüber ich mit ihm reden sollte."

Kohl und Hütthaler hatten ihren Lieferanten in ihren Aussagen schwer belastet. Matschiner: "Sie haben mich verraten. Das war nicht schön." Die Kapitel Kohl und Hütthaler waren aber nicht die einzigen in Matschiners Zeit als Dopinghändler. "Grenzwertig. Aus dem Leben eines Dopingdealers" heißt das Buch, das Matschiner gemeinsam mit dem Journalisten Manfred Behr verfasste. 2011 kam es auf den Markt. Die Aufarbeitung sei eine "perfekte" Selbsttherapie gewesen. "Es ist alles sehr schnell gegangen in den sieben, acht Jahren."

Mit zwei Blutbeuteln nach Turin

Zwei Kapitel sind Matschiners Trip zu Olympia 2006 in Turin gewidmet. Jene Spiele, die in der Dopingrazzia im Quartier der ÖSV-Langläufer und -Biathleten ihren negativen Höhepunkt hatten. Matschiner war auf Einladung des Ex-ÖSV-Langlauftrainers Walter Mayer bei den Spielen, überbrachte ihm zwei Blutbeutel von Humanplasma. Matschiner war Mayers Nachfolger als Kontaktmann zur Plasmapherestation in der Wiener Alserbachstraße, wo sich Sportler aus dem In- und Ausland zwischen 2003 und 2006 Blutabnahmen unterzogen hatten.

Später kaufte Matschiner die zum Blutdoping geeigneten Geräte von Humanplasma und verschaffte sie, eigenen Angaben zufolge, nach Inkrafttreten des österreichischen Anti-Doping-Gesetzes 2007 zunächst nach Slowenien, dann nach Ungarn. In beiden Ländern war Blutdoping nicht verboten.

Matschiners Dopingkarriere begann im August 2000. Der Oberösterreicher war ein guter Mittelstreckenläufer, aber weit entfernt von der Europa- oder gar der Weltspitze. "Ich war es leid, dass Medaillen bei österreichischen Meisterschaften die einzige Entschädigung für all die Entbehrungen sein sollten", schreibt er in seinem Buch.

Der Griff zu Epo

HTL-Maturant Matschiner, der während seines Wirtschaftsstudiums in Memphis trainierte, griff zu Epo. Wie er das mit seinem Gewissen vereinbaren konnte? "Es gibt kein Gewissen." Außerdem: "Es war klar, dass die Topläufer was nehmen." Matschiners Trainingsaufwand samt medizinischer Unterstützung lohnte sich insofern, als er die Qualifikation für die Hallen-EM 2002 in Wien schaffte. Dort scheiterte über 1500 m im Vorlauf – aber mit einer für ihn passablen Zeit.

Danach schwankten die Leistungen wieder. Die angestrebte Olympiateilnahme war weit entfernt. Ende 2003 zog er sich während eines Trainingsaufenthalts in Kenia einen Leistenbruch zu. Anfang 2004 trat Matschiner 28-jährig als aktiver Sportler zurück. Die Verletzung, schreibt Matschiner im Buch, sei eine Ausrede gewesen, "die von meinem totalen sportlichen Scheitern ablenkte. Ich hatte mir hohe Ziele gesteckt und bin letzten Endes daran zerbrochen."

Sportagentur mit Manfred Kiesl

Noch während seiner sportlichen Laufbahn gründete Matschiner gemeinsam mit Manfred Kiesl, Ehemann der Olympiadritten von 1996 über 1500 m, Theresia Kiesl, die International Sports Agency. Kiesl zog sich nach einem Jahr aus der Firma zurück. Matschiner machte weiter, vermittelte nicht nur Sportler, sondern versorgte sie auch mit illegalen Mitteln. Humanplasma, Turin, Kohl. Matschiners Karriere nahm seinen Lauf – und endete eben in Josefstadt.

Die "völlig verrückte" Zeit im Leben des Stefan Matschiner brachte ihm auch positive Erkenntnisse. "Ich habe gelernt, wie man mit Menschen umgeht, nicht jedem blind zu vertrauen und von manchen Dingen die Finger zu lassen." Mit der Sportszene hat er nichts mehr zu tun. "Die ist nur verlogen und voller Hypokriten."

Der Vater eines siebenjährigen Sohnes ist in zweiter Ehe verheiratet. 2010 gründete er eine Firma, die mit Speisepilzen handelte. Das Geschäftsmodell ging nicht optimal auf. Ab 2012 arbeitete er zudem in einer Marketingagentur. Und seit drei Jahren eben der Job in der Maschinenbaufirma. "Hier kann ich alles, was ich einmal gelernt habe, brauchen." Und seine Doping-Vergangenheit? "Interessiert keinen Menschen mehr." (Birgit Riezinger, 18.4.2016)