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Die Inhaltsstoffe der Muttermilch verändern sich mit dem Alter des Säuglings. Damit erfüllt sie im Laufe der ersten Lebensmonate mehrere verschiedene Funktionen.

Foto: REUTERS/Carlos Garcia Rawlins

Zürich/Wien – Vor gut einem Jahr machte ein skurriler Trend bei Bodybuildern auch medial die Runde: Um Muskeln wachsen zu lassen, war plötzlich Muttermilch die angesagte Nahrungsergänzung. Bei Medizinern sorgte die Praxis für Kopfschütteln, auch deshalb, weil Muttermilch ein rares Gut ist: Ein Liter kostet in Österreich rund 70 Euro.

Wie wichtig die kostbare Emulsion für Babys ist, zeigen die Schweizer Forscher Thierry Hennet und Lubor Borsig (Uni Zürich) in einem Überblicksartikel für das Fachblatt "Trends in Biochemical Sciences". Eine der wichtigsten Erkenntnisse: Mit mehr als 200 verschiedenen Zuckermolekülen besitzen Menschen die komplexeste Muttermilch aller Säugetiere.

In den ersten Tagen nach der Geburt diene die Muttermilch freilich weniger dazu, die Ernährung des Babys sicherzustellen. Stattdessen dürften die zahlreichen Zuckermoleküle gezielt die Besiedelung des bis dahin keimfreien Darms der Neugeborenen mit Bakterien anregen. "Babys haben keine Maschinerie, um diese Zucker zu verdauen, die eigentlich für die Bakterien sind", so Hennet, der den Darm mit einem Saatboden vergleicht und die Muttermilch mit Dünger.

Veränderungen im Mikrobiom

Im Verlauf der Stillzeit ändert sich dann die Zusammensetzung der Zuckermoleküle in der Muttermilch. Damit verändert sich auch die Zusammensetzung des Mikrobioms. Die Bedeutung dieser Bakteriengemeinschaft im Darm wurde erst in den letzten Jahren so richtig klar: Sie ist nicht nur für die Darmgesundheit mitverantwortlich, sondern beeinflusst auch den Stoffwechsel und damit die Entstehung von Übergewicht oder Asthma.

Zudem unterstützt Muttermilch die Entwicklung des kindlichen Immunsystems: Direkt nach der Geburt enthält sie einen besonders hohen Anteil an bioaktiven Proteinen, etwa Antikörper, Cytokine, Defensine oder Lactoferrin. Dieser Mix bremst das Wachstum von Krankheitserregern, bis das kindliche Immunsystem ab etwa einem Monat nach und nach selbst die Abwehr von Krankheitserregern übernimmt. Die Zahl der mütterlichen Antikörper in der Milch sinkt dann drastisch um etwa 90 Prozent.

Ideologische Debatten

Seitdem es Milchersatznahrung gibt, sind das Stillen und Muttermilch Gegenstand ideologischer Auseinandersetzungen geworden: Trotz der überwiegend positiven Effekte der Muttermilch wachsen Babys auch ohne sie völlig gesund auf. Die Frage, wie lange gestillt werden soll, beantworten die Forscher salomonisch: "Wir glauben, Familien sollten diese Entscheidung treffen, nicht Wissenschafter." (red, dpa, 19.4.2016)