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Von den USA verhängte hohe Strafzölle auf chinesischen Billigstahl haben die Stahllieferungen von China nach Europa zusätzlich verstärkt. Europas Stahlkocher ächzen unter dem Preisverfall.

Reuters, China Daily

Brüssel/Wien – Nach zähen Verhandlungen scheint es doch auf Protektionismus hinauszulaufen. Eine von der Industrieländerorganisation OECD und Belgien organisierte Konferenz war am Montag ohne Ergebnis verlaufen. Abgesandte aus 30 Staaten – darunter die USA und China – sowie EU-Kommissarin Cecilia Malmström hatten in Brüssel über konkrete Maßnahmen zur Eindämmung von Überproduktion und -kapazitäten im Stahlsektor beraten.

Nun wird der Ton schärfer. Die USA verlangen von China, dem weltgrößten Stahlproduzenten, einschneidende Schritte. Sollte sich die Volksrepublik verweigern, müssten betroffene Länder zum Schutz ihrer eigenen Stahlindustrie und der dort angesiedelten Arbeitsplätze Handelssanktionen verhängen, zitierte die Agentur Reuters die US-Handelsministerin Penny Pritzker.

Wenig Appetit

Das chinesische Handelsministerium konterte, China habe bereits mehr getan, als nötig sei. Stahl sei die Nahrung von Industrie und wirtschaftlicher Entwicklung. "Das aktuelle Problem ist, dass die Länder, die diese Nahrung brauchen, wenig Appetit haben", sagte ein Ministeriumssprecher.

Europas Stahlhersteller bringt die verfahrene Situation in die Bredouille. Während der Binnenmarkt mit Billigstahl geflutet wird, sind die EU-Länder uneinig über die nötige Schärfe in der Vorgangsweise. Seit Monaten blockiert der Rat der Wirtschafts- und Industrieminister die Modernisierung der Antidumping-Grundverordnung, kritisieren die Stahlerzeuger, wobei die Fronten quer durch alle Lager verlaufen. Laut Protokoll des Wettbewerbsrats im Februar drängen Frankreich, Italien, Großbritannien, Spanien, Bulgarien, Tschechien und die Slowakei auf eine "völlige Ausschöpfung der bestehenden staatlichen Beihilfen und Antidumpingmaßnahmen" in Abstimmung mit der Welthandelsorganisation WTO. "Niemand soll durch diejenigen, die sich nicht an die Regen halten, aus dem Markt gedrängt werden."

Kein Allheilmittel

Man müsse die Modernisierung der Instrumente zur Preisstützung ebenso beschleunigen wie die Antidumpingverfahren, wobei Großbritannien darin kein Alleinheilmittel sieht, wie im Ratsprotokoll, das dem STANDARD vorliegt, vermerkt ist. Das Problem betrifft vor allem Stahl aus China. Russland, Weißrussland, die Ukraine und Indien gelten ebenfalls als "problematische Importeure".

Angesichts der Rat- und Machtlosigkeit mehren sich nun die Stimmen für Preisstützungen. "Wir müssen diskutieren, ob wir bei der Beurteilung von staatlichen Hilfen nicht flexibler sein können", zitierte die FAZ Elzbieta Bienkowska. Die EU-Industriekommissarin stieß damit ins selbe Horn wie Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der der Branche mit rund 360.000 Beschäftigten Stahlhilfen in Aussicht stellte. Gemäß dem EU-Beihilfen-Regime sind derartige Subventionen allerdings verboten.

Kampf gegen Billigimporte

Das Waffenarsenal der EU-Staaten zur Bekämpfung der Billigimporte aus China ist freilich beschränkt. Im Gegensatz zu den USA oder Kanada, die Rohrstahl bereits mit 45 bis 55 Prozent Strafzoll belegt haben, werden auf Importe in die EU nur sechs bis neun Prozent Aufschlag verhängt. Die Milde ist der sogenannten "lesser duty rule" geschuldet, der zufolge sich der Strafzoll einerseits am Preisunterschied zum Normalpreis orientiert und andererseits am potenziellen Schaden durch Dumpingpreise im Importmarkt. Bis 2015 war der verminderte Aufschlag für Europa nicht von Nachteil, Stahlverarbeiter profitierten vom billigeren Rohmaterial.

Streit über Marktwirtschaft

Mit der Flut an Billigstahl kann es bei der Reform der Antidumping-Grundverordnung nun aber nicht schnell genug gehen. Länder wie Österreich stehen auf der Bremse, verlangen umfangreiche Erhebungen über die Wirkung. Man sei kein Bremser, betont man im Wirtschaftsministerium. Die "lesser duty rule" ermögliche schließlich einen Interessensausgleich zwischen betroffenen Produzenten und industriellen Verwendern. Daher fordere Österreich vor der Entscheidung die Prüfung aller Auswirkungen. Der Verordnungsentwurf der Kommission ist für Sommer avisiert.

Über all dem schwebt ein Damoklesschwert: Im Dezember feiert China den 15. Jahrestag des WTO-Beitritts und verlangt die Zuerkennung des Marktwirtschaftsstatus (MES). Das wollen Länder wie Kanada und die USA verhindern, denn dann könnten Dumpingzölle kaum mehr verhängt werden. Automatisch bekomme China den MES sicher nicht, heißt es in Ratskreisen. Heißt auf gut Deutsch: Der Streit mit China über Bedingungen und Übergangsfristen kann beginnen. (Luise Ungerboeck, 20.4.2016)