Die österreichische Gesundheitsreform will die Verlagerung medizinischer Leistungen von den Kliniken in die niedergelassene Praxis. In Wien wurde das jetzt im Falle der Diagnose angeborener Immunschwäche durch Einstellung der Bezahlung in der seit 25 Jahren tätigen Immunologischen Tagesklinik unterlaufen, hieß es bei einer Pressekonferenz.

"Den Vertrag gab es seit 25 Jahren. Die Wiener Gebietskrankenkasse hat die Kostendeckung für die Diagnose mit April 2016 eingestellt. (...) Die niederösterreichische und die burgenländische Gebietskrankenkasse sowie die SVA haben nachgezogen", sagte Hermann Wolf, Arzt an der Immunologischen Tagesklinik in Wien-Alsergrund, die pro Jahr rund 2.500 Patienten, 20 Prozent sind Kinder, mit immunologischen Krankheiten betreut und bisher klassische Immundefizienzen bei rund 200 Personen jährlich diagnostiziert hat.

Auf der Suche

Das Ergebnis sei de facto eine Patientenwanderschaft oder Privatzahlungen der Patienten, die bis zu 800 Euro pro Fall betragen könnten, betonte der Experte. "Die Patienten werden von der Wiener Gebietskrankenkasse herumgeschickt. (...) Ins Hanuschkrankenhaus, ins AKH oder zum CeMM (Forschungszentrum für molekulare Medizin; Österreichische Akademie der Wissenschaften; Anm.) bzw. zum CeRUD (Zentrum für Seltene und nicht diagnostizierte Erkrankungen; Anm.)." Dies erfolge durch die Chefärzte der Krankenkassen.

Das Problem liegt darin, dass CeMM und CeRUD jedenfalls primär Forschungseinrichtungen sind. "Wir sind Forschungseinheiten und können nicht helfen", zitierte Wolf Auskünfte, welche Patienten erhalten hätten. Die aktuelle Situation, wie der Immunologe berichtete: "Wenn die Diagnosemöglichkeiten nicht mehr gegeben sind, kommen wir in eine Situation wie vor 30 Jahren."

Immundefekte finden

Angeborene Immunschwächeerkrankungen sind selten, aber nicht so selten, wie man meinen könnte. Das "Variable Immundefektsyndrom" (CVID) macht rund die Hälfte dieser Erkrankungen bei Erwachsenen aus. "Die Häufigkeit beträgt eins zu 3.500. Das ist relativ häufig, etwa so wie die Multiple Sklerose", sagte Wolf.

Bei Erschwerung des Zugangs zu der speziellen Diagnostik könnten die Zeiten bis zur adäquaten Feststellung der vorliegenden Störung und zu einer zielgerichteten Therapie, die oft mit aus Blutplasma hergestellten Immunglobulinen erfolgt, wieder länger werden.

Derzeit dürfte der Zeitraum vom Verdacht bis zur Diagnose um die 1,5 Jahre dauern. Vor einigen Jahren waren es noch sieben Jahre, berichtete Wolf. "Wir haben genug Literatur, dass die Frühdiagnose Spätschäden verhindert." Spezielles Wissen ist besonders deshalb gefordert, weil es rund 200 verschiedene angeborene Immundefekte gibt.

Extreme Fälle

Ein extremes Schicksal hat die Obfrau der Selbsthilfegruppe für primäre Immundefekte (ÖSPID), Karin Modl, durchgemacht. "Es hat fast 42 Jahre gedauert, bis ich die richtige Diagnose und Therapie erhalten habe." Nach Jahrzehnten mit immer wiederkehrenden und langen Spitalsaufenthalten wegen schwerster Infektionen und Zuweisungen bis in die Psychiatrie geriet sie im Spital durch den Tipp eines Arztes in einen Fachvortrag über Immundefizienzen.

Das war schließlich der Wendepunkt. Allein die sechs bis sieben Lungenentzündungen im Jahr schädigten sie so, dass die Lungenkapazität der Frau laut eigenen Angaben nur noch 30 Prozent des Sollwertes beträgt. (APA, 20.4.2016)