Oslo – Der Massenmörder Anders Behring Breivik hat in seinem Rechtsstreit mit der norwegischen Regierung gesiegt. Ein Gericht in Oslo gab am Mittwoch der Klage des Extremisten gegen seine Haftbedingungen statt. Breiviks langjährige Einzelhaft sei "unmenschlich" und verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, urteilte das Gericht. Der Staat muss nun auch Breiviks Prozesskosten in Höhe von fast 36.000 Euro übernehmen

Breivik hatte im Juli 2011 in Oslo und auf der Insel Utöya 77 Menschen ermordet. Im März zog er aus Protest gegen seine Haftbedingungen vor Gericht. Unter anderem klagte er über kalten Kaffee und Mikrowellenessen, was "schlimmer als Waterboarding" sei. Das Gericht befand, der Staat habe gegen Artikel drei der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen. Die Isolation sei im Sinne des Katalogs "eine unmenschliche Behandlung". Breivik müsse 22 bis 23 Stunden täglich alleine in seiner Zelle verbringen, das sei eine vollständig abgeriegelte Welt mit nur sehr wenig menschlichem Kontakt.

In der Frage der Einzelhaft folgte das Gericht weitgehend der Argumentation Breiviks: "Das Gericht ist zu dem Schluss gekommen, dass die Haftbedingungen eine unmenschliche Behandlung darstellen." Richterin Helen Andenaes Sekulic verwies insbesondere darauf, dass der 37-Jährige seit fast fünf Jahren in Einzelhaft sitze. "Das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung zählt zu den Grundwerten einer demokratischen Gesellschaft", heißt es in dem Urteil. "Das gilt auch für die Behandlung von Terroristen und Mördern."

Keine Lockerung der Kontakte zur Außenwelt

Mit Breiviks Haftbedingungen verstießen die Strafvollzugsbehörden nach Auffassung des Gerichts gegen Artikel drei der Europäischen Menschenrechtskonvention, in dem es heißt: "Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden."

Nicht durchsetzen konnte sich Breivik hingegen mit der Klage gegen die Kontrolle seiner Kontakte zur Außenwelt. Er wollte erreichen, dass die Kontrollen seiner Korrespondenz und seiner Besucher gelockert würden. In den Beschränkungen sah er eine Verletzung von Artikel acht der Europäischen Menschenrechtskonvention, der die Achtung des Privat- und Familienlebens regelt. Diesem Argument wollte das Gericht aber nicht folgen.

In ersten Reaktionen bewerteten Überlebende des Massakers das Urteil unterschiedlich. "Das Urteil zeigt, dass der Rechtsstaat funktioniert und die Menschenrechte selbst in extremen Fällen respektiert", schrieb Björn Ihler auf Twitter. Ein weiterer Überlebender, Viljar Hanssen, kam zu einem anderen Schluss: "Ein Hoch auf den Rechtsstaat – aber das ist nun einfach absurd."

Norwegens Anwälte von Urteil überrascht

Breiviks Anwalt Oystein Storrvik hatte die Klage mit dem Hinweis zu rechtfertigen versucht, dass sein Mandant wahrscheinlich den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen müsse. Breivik war wegen der Anschläge zur Höchststrafe von 21 Jahren Gefängnis verurteilt worden; die Inhaftierung kann aber verlängert werden, wenn die Behörden in ihm eine Gefahr sehen.

In den Anhörungen zu dem Fall hatte Breivik keinen Ehrgeiz erkennen lassen, diesen Eindruck zu widerlegen. Er bezeichnete sich selbst als Neonazi, zeigte den Hitler-Gruß und begründete seine Klage auch damit, dass er intensiver mit seinen Anhängern kommunizieren wolle. Die Rechtsvertreter der Behörden hatten dagegengehalten, Breivik sei "extrem gefährlich" und müsse daran gehindert werden, weitere Anschläge über Anhänger außerhalb des Gefängnisses zu planen.

Die Anwälte, die den Staat vertreten, zeigten sich überrascht von dem Urteil. Ob sie in Berufung gehen, haben sie nach eigenen Angaben noch nicht entschieden. Norwegen legt prinzipiell großen Wert auf einen liberalen Strafvollzug, in dem der Rehabilitierungsgedanke Vorrang vor der Bestrafungsabsicht hat. Breiviks Haftbedingungen sind im internationalen Vergleich komfortabel. Im Hochsicherheitsgefängnis Skien belegt er drei Zellen: einen Schlafraum, ein Studierzimmer und einen Fitnessraum. (red, APA, AFP, Reuters, 20.4.2016)