Kiel – Das Jahrzehnt zwischen dem Jahr 536 und Mitte der 540er Jahre unserer Zeitrechnung war zumindest im Mittelmeerraum geprägt von Krisen und Katastrophen: von ungewöhnlicher Kälte über Missernten bis zur Ausbreitung von Krankheiten. Auch die Jahresringe von Bäumen belegen schlechte Wachstumsbedingungen in jenen Jahren. Soziale Krisen bis hin zur Pest-Pandemie ab 541 werden mit dem Phänomen in Verbindung gebracht.
Am Anfang der Ereigniskette könnten Vulkanausbrüche gestanden haben, wie das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung berichtet. Erst kürzlich konnten Wissenschafter in neu datierten Eisbohrkernen aus Grönland und aus der Antarktis Hinweise auf zwei große Eruptionen in den Jahren 536 und 540 finden. Diese könnten globale Auswirkungen gehabt haben. Und es würde zu den Überlieferungen zeitgenössischer Chronisten wie dem Byzantiner Prokopius passen, der von einer mysteriösen Wolke berichtete, die das Licht der Sommersonne über dem Mittelmeer verdunkelte.
Starke Abkühlung
Wie ein internationales Forscherteam in der Fachzeitschrift "Climatic Change" berichtet, war das vulkanische Doppelereignis von 536/540 stärker als jedes andere dokumentierte Ereignis der vergangenen eineinhalb Jahrtausende. "Schon einer der Ausbrüche hätte zu einer deutlichen Abkühlung der Erdoberfläche geführt. Beide so kurz hintereinander haben wahrscheinlich das kühlste Jahrzehnt der vergangenen 2.000 Jahre verursacht", sagte GEOMAR-Forscher Matthew Toohey, der Erstautor der Studie.
Um den Einfluss des vulkanischen Doppelschlags zu simulieren, haben die Wissenschafter die zur Verfügung stehenden Daten aus den Eisbohrkernen und die Hinweise aus Chronistenberichten gesammelt und so die Stärke und den ungefähren Ort der Eruptionen abgeschätzt. Anschließend haben sie im Computermodell die Ausbreitung und den Einfluss der Aerosol-Wolke rekonstruiert, die nach den Eruptionen in der Atmosphäre entstanden sein müsste.
Dabei kam heraus, dass nach den Ausbrüchen die Sonneneinstrahlung über der Nordhalbkugel für mehrere Jahre reduziert war und die Durchschnittstemperaturen in der Atmosphäre um bis zu zwei Grad Celsius sanken.
Beispiel aus jüngerer Vergangenheit
Der Zusammenhang zwischen Prokopius' "geheimnisvoller Wolke" und den Krisen am Übergang von der Spätantike zum Mittelalter wird schon lange in der Forschung diskutiert. Welchen Einfluss große Vulkaneruptionen auf menschliche Gesellschaften haben können, zeigte 1815 der indonesische Vulkan Tambora. Er schleuderte so viel Asche und Aerosole in die Atmosphäre, dass das Jahr 1816 in Europa und Nordamerika als "Jahr ohne Sommer" in die Geschichtsbücher einging. Unwetter und ungewöhnlich niedrige Temperaturen führten zu Missernten und Hungersnöten mit gravierenden sozialen Folgen.
Mit Klimamodellsimulationen versuchten die Forscher, die Erkenntnisse aus Ausbrüchen in jüngerer Zeit auf das Frühmittelalter zu übertragen, aus dem weit weniger Quellen erhalten sind. Laut diesen Simulationen waren Nordeuropa und insbesondere Skandinavien wahrscheinlich die Regionen, die am meisten unter den kalten Bedingungen nach den Ausbrüchen 536/540 gelitten haben. Dieses Ergebnis unterstützt die Theorie einer Verbindung zwischen Eruptionen und archäologischen Beweisen für eine schwere gesellschaftliche Krise in Skandinavien im 6. Jahrhundert.
Wer war es?
Offen bleibt vorerst allerdings noch die Frage, welche Vulkane damals konkret ausgebrochen sind. "Es werden verschiedene Kandidaten diskutiert, unter anderem in Indonesien, Nord- und Mittelamerika. Aber das müssen zukünftige Untersuchungen zeigen", sagt Toohey. (red, 25. 4. 2016)