Demonstranten vor dem Regierungsgebäude in Skopje – schon seit Tagen laufen Anhänger der Opposition gegen eine Entscheidung von Präsident Gjorge Ivanov Sturm, 56 in Skandale verwickelte Politiker vor Abschuss ihrer Strafverfahren zu begnadigen.

APA / AFP / Robert Atanasovski

Die Sicherheitskräfte werden dabei mit Eiern und Farbbeuteln beworfen.

APA / AFP / Robert Atanasovski

Skopje/Sarajevo – Eine Woche nach der präventiven Amnestie für 56 Politiker und deren Mitarbeiter durch den mazedonischen Präsidenten Gjorge Ivanov gehen weiterhin tausende Mazedonier täglich gegen diese Entscheidung auf die Straße. Die Proteste werden nicht nur von der sozialdemokratischen Opposition, sondern auch von Teilen der Zivilgesellschaft organisiert. Die Zivilgesellschaft fordert nun, auch an den Krisengesprächen in Wien am kommenden Freitag teilnehmen zu können. Bisher waren an diesen Treffen, die bereits seit vielen Monaten immer wieder stattfinden, die vier Parteiführer und Vertreter des Europäischen Parlaments sowie EU-Kommissar Johannes Hahn beteiligt.

Die Protestbewegung, die sich unter dem Namen "Ich protestiere" (protestiram) formiert hat, fordert – so wie die Sozialdemokraten (SDSM) – eine Verschiebung der Wahlen, die die nationalkonservative Regierungspartei VMRO-DPMNE am 5. Juni abhalten will. Die Argumente: Die Wahllisten könnten bis zu diesem Datum nicht aktualisiert werden. Es gebe bis zu 100.000 Karteileichen – und zudem keine faire Berichterstattung, weil die Regierungsparteien die Medien dominierten. Daher müsse eine Medienreform stattfinden. Die wichtigste Forderung betrifft aber die Rücknahme der Amnestie-Entscheidung von Präsident Ivanov. Am Mittwoch forderte nun auch die SDSM die Rücknahme der Amnestie – andernfalls wolle Parteichef Zoran Zaev nicht an den Krisengesprächen in Wien teilnehmen.

Politiker "zum Schutz der Nation" begnadigt

Viele Anhänger der Protestbewegung fordern auch ein Amtsenthebungsverfahren gegen Ivanov. Dieser hatte vor einer Woche in einem langen Brief an die "Bürger" argumentiert, er müsse die Nation und den Staat schützen und habe deshalb die Begnadigung erlassen. Die allermeisten betroffenen Politiker und deren Mitarbeiter waren aber noch gar nicht verurteilt – gegen sie wurde bislang nur ermittelt. In den meisten Fällen gibt es auch noch keine Anklage. Inhaltlich ging es vor allem um jene Fälle, in denen die von der EU unterstützte neue Sonderstaatsanwaltschaft ermittelt. Für die Regierungsparteien handelt es sich um politisch äußerst brisante Fälle, nämlich um die sogenannte "Abhöraffäre". Dabei geht es darum, dass Telefonprotokolle von 20.000 illegal abgehörten Bürgern, Politikern und Journalisten offenbarten, wie die Regierungsparteien die Justiz und die Polizei steuerten, Amtsmissbrauch begingen und versuchten, politische Gegner zu kriminalisieren.

Ivanov, der von der VMRO-DPMNE als Präsidentschaftskandidat aufgestellt worden war, pardonierte etwa auch den ehemaligen Premier und Parteichef der VMRO, Nikola Gruevski, der nach wie vor die Fäden in Mazedonien in der Hand hält. Die Demonstranten fordern deswegen auch, dass alle Parteien die Arbeit der Sonderstaatsanwaltschaft unterstützen. Demonstrationen finden seit Tagen nicht nur in der Hauptstadt Skopje, sondern auch in Bitola, Strumica, Veles, Kumanovo und Stip statt. Auch Albaner, die etwa ein Viertel der mazedonischen Bevölkerung ausmachen, nehmen an den Protesten teil.

Entscheidende Rolle für Minderheiten-Parteien

Die Rolle, der beiden größten Albanerparteien, der DUI unter Ali Ahmeti, die mit der VMRO in den vergangenen Jahren koalierte, und der DPA unter Menduh Thaçi, ist tatsächlich entscheidend. Denn wenn die beiden Albanerparteien sich von Gruevski und der VMRO abwenden und ebenfalls die Wahlen verschieben wollen, steht die VMRO allein da und kann auch nach möglichen Wahlen keine Koalition bilden. Bisher unterstützen aber die DUI und die DPA die VMRO, was den Wahltermin betrifft. Insbesondere die DUI kann auch wenig Interesse an einem effizienten Vorgehen der Sonderstaatsanwaltschaft haben, weil sie Angst haben muss, dass auch strafrechtlich relevante Dinge zum Vorschein kommen, die eigene Parteiangehörige betreffen – insbesondere Korruptionsfälle.

Unter den Albanern in Mazedonien werden sowohl die DUI als auch die DPA zunehmend kritisch gesehen. Die neue Albaner-Partei Besa und andere albanische Organisationen nehmen an den derzeitigen Protesten teil. Entscheidend wird wohl auch sein, wie viel Druck die USA auf die Albaner ausüben werden. Denn die Albaner – sowohl in Albanien als auch im Kosovo und in Mazedonien – gelten als enge Verbündete der USA. Maßgeblich ist auch, ob zukünftig erreicht werden kann, dass Mazedonien – trotz des bisherigen Vetos seitens Griechenlands – eine Chance hat, in die Nato, und langfristig auch in die EU, zu kommen. (Adelheid Wölfl, 20.4.2016)