Man stelle sich vor, dass ein Fußballspiel ein paar Minuten vor Ende der zweiten Halbzeit abgebrochen würde: "So, jetzt haben wir das vorläufige Ergebnis. Aber den wirklichen Ausgang werden wir erst kennen, wenn morgen die restlichen Minuten gespielt sein werden. Für heute ist jetzt mal Schluss." Niemand würde das Sportfreunden zumuten. Den Politikinteressierten steht genau das am Sonntag bevor, wenn das vorläufige Ergebnis der Bundespräsidentenwahl bekanntgegeben wird: "Das ist der Auszählungsstand vom Sonntag. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir den wirklichen Ausgang der Wahl erst morgen kennen, wenn wir die restlichen Stimmen zählen werden. Für heute ist jetzt mal Schluss."
Wenn die Schätzung stimmt, dass etwa eine halbe Million Wahlkarten ausgegeben werden, dann wird etwa jede zehnte abgegebene Stimme erst am Montag gezählt werden. Wenn die ersten drei Bewerber etwa gleich gut beim Wahlvolk angekommen sind, dann wird man tatsächlich erst am Montag wissen können, wer in der zweiten Runde der Wahl ein Fixstarter ist. Das wird noch spannend. Man kann dies der unergründlichen Weisheit des Gesetzgebers zurechnen, der eben einen zusätzlichen Kick wollte.
Dabei ginge es viel einfacher: Gezählt wird jede Stimme sofort bei Wahlschluss – vorausgesetzt, sie ist bis dahin persönlich oder per Post im Wahlsprengel eingelangt. So funktioniert das übrigens in Deutschland recht gut. (Conrad Seidl, 20.4.2016)