Wie wichtig ist E-Commerce für den Handel? Ob damit auch etwas zu verdienen ist, darüber wird seit geraumer Zeit heftig diskutiert.

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Wien – Harald Gutschi lässt keinen Zweifel daran, wo er Österreichs stationäre Händler in zehn Jahren sieht: "Sie fahren in einem Tunnel Vollgas gegen die Wand. Sie haben keine Antwort auf digitale Herausforderungen, schwanken zwischen Diskont und Erlebnisshopping. Sie werden deutlich Marktanteile verlieren." Gutschi ist Chef von Unito Österreich. Die Gruppe vereint Versandhändler wie Otto, Universal und Quelle. International reihen sich 100 Webshops unter ihr Dach, zwölf davon in Österreich. Gutschi trommelt für einen Siegeszug des Onlinehandels. Und spart nicht mit Superlativen.

Gigantisch seien die Investitionen, die dafür in die IT fließen, erzählt er. Alternativen gebe es dazu keine. Denn in zwei Jahren werde sein Konzern bereits 95 Prozent des Geschäfts via Internet lukrieren. 86 Prozent seien es derzeit.

Mehr Zeit mit Smartphones als mit Menschen

Um 28 Prozent sei der Onlineumsatz zuletzt jährlich im Schnitt allein bei Unito gewachsen. 290 Millionen Euro waren es in Summe im Vorjahr in Österreich – ein Plus von 6,2 Prozent, rechnet er vor. Der Großteil der Kunden verbringe mittlerweile mehr Zeit mit Smartphones als mit Menschen – 36 Prozent der Bestellungen gingen daher über Handys oder Tablets ein. Der Anteil werde bis 2018 auf 80 Prozent steigen, prognostiziert Gutschi. Bei der Zustellung sieht er bald straßentaugliche Roboter zum Einsatz kommen. Allein bei Drohnen ist er vorsichtig und glaubt wegen rechtlicher Hürden nicht an den flächendeckenden Einsatz. Hohe Investitionen in die Zustellung würden jedenfalls "neue Megatrends" provozieren. "Denn die letzte Meile ist der entscheidende Wettbewerbsvorteil."

Gutschi versprüht eine Euphorie, die an Peter Schnedlitz kühl abperlt. Der Handelsexperte der Wirtschafts-Uni Wien beschäftigt sich seit Jahren mit harten Fakten des E-Commerce. Und er hält die Bilanzen und Prognosen, die über das Onlinegeschäft generell kursieren, für verzerrt und überhöht.

Die Hälfte der publizierten Zahlen stimme nicht, sagt er im Gespräch mit dem STANDARD, was unter anderem an der Verflechtung des deutschen Handels mit dem österreichischen liege. Der Großteil der Webshops mache weniger als 100.000 Euro Umsatz, vielfach nur 10.000 Euro Gewinn. "Nie und nimmer" würden die Österreicher in Summe jährlich gut sechs Milliarden, wie gerne geschätzt wird, im Web ausgeben, ergänzt er und verweist auf Hochrechnungen des deutschen EHI-Retail-Instituts.

"Kein Weltsieg von Amazon"

"Ich glaube auch nicht an den Weltsieg von Amazon." Wolle der Konzern erfolgreich bleiben, müsse er sich mit "kleinteiliger, mühsamer Nahversorgung anpatzen", ist Schnedlitz überzeugt. "Je mehr Vollsortiment, desto näher geht es zum Kunden, desto mehr braucht es die Distributionsstrukturen des klassischen Handels." Aus seiner Sicht führt für Amazon kein Weg an Übernahmen von oder Kooperationen mit stationären Händlern vorbei. Es brauche Pick-up-Points, alles andere sei komplex und teuer. "Ein Horrorszenario wäre es, wenn Amazon Rewe kaufte." (Verena Kainrath, 22.4.2016)