Rund um Österreich stehen jede Menge Kernkraftwerke. Kommt es zu einem Unfall, soll man Jodtabletten einnehmen, sagen Experten.

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Salzburg – Schilddrüsenkrebs ist die einzige Krebserkrankung, bei der der Zusammenhang zwischen radioaktivem Fallout und dem Erkrankungsrisiko wissenschaftlich wasserdicht nachweisbar sei. Das sagt der Münchner Strahlenschutzexperte Edmund Lengfelder. Der Mediziner betreibt seit rund 25 Jahren in der zweitgrößten Stadt Weißrusslands Gomel ein Schilddrüsenzentrum. Die Region Gomel war nach dem AKW-Unfall in Tschernobyl Ende April 1986 besonders starkem radioaktivem Niederschlag ausgesetzt.

Basis der wissenschaftlichen Arbeit von Lengfelder sind Daten aus der weniger stark in Mitleidenschaft gezogenen Republik Tschechien. Hier gebe es – anders als beispielsweise in Österreich oder Deutschland – ein nationales Krebsregister. Der Anstieg der Schilddrüsenkrebserkrankungen nach Tschernobyl sei eklatant, sagt Lengfelder. Aktuell würden bis zu vier von 100.000 Menschen pro Jahr an einem derartigen Tumor erkranken. Wissenschaftlich valid sei die Zahl, weil das tschechische Krebsregister in Summe 241 Millionen Personenjahre ausgewertet habe.

Arbeitshypothese

Bei anderen Krebserkrankungen wie etwa Brustkrebs oder Leukämie sei der Zusammenhang zwischen den Steigerungsraten und dem radioaktiven Niederschlag nach Tschernobyl zwar "eine solide Arbeitshypothese", aber eben nicht mehr. Bei der Leukämie beispielsweise sei die Erkrankungshäufigkeit in den betroffenen Gebieten um das bis zu Siebenfache gestiegen. Bei diesen Krebsformen sei die Vorbeugung im Falle eines Reaktorunfalles auch wesentlich schwieriger als beim Schilddrüsenkrebs.

Lengfelder empfiehlt, dass jeder zu Hause eine Packung Tabletten mit stabilem Jod lagere. Kommt es nun zu einem radioaktiven Niederschlag, einem Fallout, müssten die Tabletten inert sechs Stunden eingenommen werden, damit der Jodgehalt in der Schilddrüse gesättigt sei. Dann würde diese kein radioaktives Jod aufnehmen und einlagern, das letztlich die Krebserkrankung auslöse. Die Investition sei für jeden machbar: Eine Packung Jodtabletten koste rund zwei Euro, sagt Lengfelder.

Grenzwerte zu hoch

Kritik kommt in diesem Zusammenhang von der Salzburger Plattform gegen Atomgefahren (Plage). Deren Sprecher, Heinz Stockinger, verweist auf einen im Jänner dieses Jahres mit österreichischer Zustimmung gefällten Beschluss für die Grenzwerte radioaktiver Strahlung bei Babymilch. Diese seien nach der Tschernobyl-Katastrophe im Dezember 1987 auf den zehnfachen Wert im Vergleich zu den Grenzwerten vor dem Reaktorunfall in der Ukraine angehoben worden. Am 16. Jänner dieses Jahres seien diese überhöhten Grenzwerte von Euratom erneut bestätigt worden, berichtet Stockinger. (Thomas Neuhold, 22.4.2016)