Bild nicht mehr verfügbar.

Statt Diskussionen weiter zu anzuheizen, sollten Nutzer vor dem Absenden durchatmen und dem Gegenüber Wege aus der Eskalationsspirale bieten, rät Journalistin Ingrid Brodnig

Foto: AP/Altaffer

Die Autorin und "profil"-Journalistin Ingrid Brodnig bei einem STANDARD-Userchat 2014

Foto: Standard/Cremer

Onlinediskussionen laufen oft nach dem selben Muster ab: Person A sagt etwas Provokantes, das umso mehr Likes abstaubt, je schärfer es in Form und Inhalt ist. Person B reagiert darauf mit einer Beleidigung, die in der ersten Empörung formuliert und sofort abgesendet wurde. Daraufhin eskaliert das digitale Scharmützel immer weiter, bis nur verbrannte Erde übrig bleibt. Doch das muss nicht so sein, sagt die Buchautorin und profil-Redakteurin Ingrid Brodnig, die sich für ihr neues Buch "Hass im Netz" ausführlich mit dem Phänomen beschäftigt hat.

"Föderation der Planeten" gegen Ausländerhass

Brodnig empfiehlt, es bei der Replik auf ein rabiates Posting erst einmal mit Humor zu probieren. "Wenn wir lachen, können wir in dem Moment keine Wut spüren", sagt Brodnig. So könnten sich auch vermeintliche Opfer als stark präsentieren, gleichzeitig wird die Debatte entschärft. In ihrem Buch nennt Brodnig etwa die Facebook-Seite der deutschen Politikerin Gesine Lötzsch (Die Linke) als Beispiel.

Dort hatte sich ein Nutzer über "Asylbetrüger und Wirtschaftsmigranten" beschwert. Das Team der Politikerin bemerkte, dass der Nutzer in seinem Profil angibt, "Star Trek"-Fan zu sein. In Referenz auf die Scifi-Serie antwortete die Politikerin, dass auch in der "Charta der vereinigten Föderation der Planeten" stünde, dass alle vor "der Geißel des intergalaktischen Kriegs" geschützt werden müssten. Der Beitrag wurde mehr als tausend Mal geteilt und gilt als Paradebeispiel für den geschickten Einsatz von Humor.

Chance auf Versachlichung

Prinzipiell sollte jeder Nutzer die Chance erhalten, wieder auf einer sachlichen Ebene in die Diskussion einzusteigen, sagt Brodnig. "Oftmals gibt es kein Exit-Szenario, wenn eine Eskalation begonnen wurde", so die Autorin. Wenn man jedoch sachlich und inhaltlich antworte, besinnen sich viele Nutzer selbst auf eine zivilisierte Gesprächskultur. Abgesehen davon sollen Betroffene laut Brodnig "einen unfairen Diskussionsstil aufzeigen und klar benennen". Wenn das digitale Gegenüber dann immer noch nicht zu einer Versachlichung der Debatte bereit ist, könne man das Löschen oder Blockieren von dessen Beiträgen in Betracht ziehen.

Die strafrechtliche Verfolgung von Grenzüberschritten hält Brodnig für "absolut gerechtfertigt". Sie beobachtet momentan einen Umdenkprozess bei vielen Menschen, die das Netz bislang für einen rechtsfreien Raum gehalten haben. "Es gibt zwei Gradmesser, ab wann ich Behörden einschalten kann", sagt Brodnig. Erstens sollte man bei extrem persönlichen Angriffen vorsichtig werden, zweitens ist eine wiederholte Belästigung eines Nutzers – auch bei verschiedenen Gesprächsthemen oder auf unterschiedlichen Plattformen – als Alarmzeichen zu betrachten, dies erfüllt womöglich gar den Paragrafen des Cybermobbing.

Dokumentation ist wichtig

Sie rät Nutzern, Hassbeiträge jedenfalls zu dokumentieren, etwa mit einem Bildschirmfoto. Gleichzeitig solle man die Beiträge beim Plattformbetreiber, wie etwa Facebook, melden, damit dieser die Chance zur Löschung erhält. "Mir fehlt vor allem die Transparenz, wie viel Facebook wirklich gegen das Problem macht, wir wissen beispielsweise nicht, wie viele Moderatoren es denn engagiert", sagt Brodnig. Momentan passiere durch die IT-Konzerne "häufig eher zu wenig", sagt Brodnig. Aber jeder Betreiber habe die Verantwortung, Opfer zu schützen. "Wenn sich in einem Gasthaus zwei Besucher daneben benehmen und andere Gäste beschimpfen, wird der Wirt nicht einfach wegschauen und nichts tun", so Brodnig.

"Neue Tiefpunkte" statt Erleichterung

Von der Theorie, Hasspostings brächten ihren Verfassern eine Art Katharsis, hält Brodnig nichts. "Ich würde gerne den Hassposter sehen, der sich nach einem wuterfüllten Beitrag besser fühlt", sagt sie. Wenn, dann stiegen Polarisierung und der eigene Aggressionslevel. Auch im politischen Diskurs seien "neue Tiefpunkte" zu befürchten, etwa durch das gezielte Verbreiten von Lügen, die wiederum Hass und Wut anstacheln.

Um diese Polarisierung gesamtgesellschaftlich zu stoppen, müsse eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen werden. Brodnig plädiert etwa dafür, dass in Schulen Trainings gegen Mobbing abgehalten werden. "Dort können junge Menschen lernen, wie es sich anfühlt, selbst ein Opfer zu sein", erklärt Brodnig. Das steigere die Empathiefähigkeit. Außerdem muss das Medienverständnis gefördert werden. Zum Beispiel gebe es Nutzer, die sowohl rechte, unseriöse Blogs als auch etablierte Medien lesen und der Ansicht sind, "die Wahrheit wird irgendwo in der Mitte liegen." Dies sei aber ein Trugschluss, der auch als "false balance" bezeichnet wird. Wenn diese Blogs auch immer weiter nach rechts rücken, verschiebe sich auch immer weiter die vermeintliche Mitte, so Brodnig.

Persönliches Gespräch mit Freunden suchen

Merkt man, dass Freunde oder Bekannte Beiträge solcher Medien teilen, solle man das persönliche Gespräch suchen – das helfe oft auch mehr als dies öffentlich anzumerken. "Wenn ein Freund das auf seiner Facebook-Seite teilt und man dann darunter negativ kommentiert, hat dieser nur das Gefühl, bloßgestellt zu werden", sagt Brodnig. Besser sei, "auf Augenhöhe" mit der Person über die Quelle zu diskutieren. Unsichtbarkeit enthemmt In ihrem Buch stellt Brodnig auch einige technische Experimente vor, die sich mit einer Niveausteigerung bei Onlinediskussionen beschäftigen.

Das "Civil"-Projekt zwingt Forenteilnehmer etwa dazu, vor dem Absenden ihrer Beiträge andere Kommentare zu bewerten. Dann erhalten sie die Chance, ihr eigenes Posting umzuschreiben, bevor es publiziert wird. Dadurch sollen die Menschen daran erinnert werden, dass ihre Worte nicht im Nirwana verschwinden, sondern von anderen Personen wahrgenommen werden. Die "Unsichtbarkeit" des virtuellen Gegenübers sei einer der Hauptfaktoren, warum Onlinegespräche schnell eskalieren.

Redakteure sollen Präsenz zeigen

"Man stelle sich vor, man befände sich an der Supermarktkassa und es ginge sehr langsam voran. Niemand würde beginnen, herumzustänkern, weil ihm dann die Blicke der anderen unangenehm wären", sagt Brodnig. Genau diese Mechanismen fehlten online allerdings. So glaubten viele Nutzer oft nicht, dass Politiker oder Redakteure die Beschimpfungen tatsächlich lesen. Doch Analysen des britischen Guardian zeigten laut Brodnig, dass die Moderationskosten für ein Forum rapide sinken, wenn Redakteure Präsenz zeigen. Damit spare man also nicht nur Kosten, sondern sorge auch für mehr Sachlichkeit. (Fabian Schmid, 25.4.2016)