Vielleicht lügen die Menschen ja, wenn sie von einem Meinungsforschungsinstitut angerufen und nach ihrer Wahlabsicht befragt werden. Käme es sonst zu so starken Abweichungen zwischen dem, was in Wahlumfragen als wahrscheinlichstes Ergebnis publiziert wird, und dem, was dann an der Wahlurne tatsächlich herauskommt?

Der Wahlforscher Peter Hajek sieht das mit berufsbedingter Milde: "Der Begriff 'Lüge' ist ein hartes Wort", sagt er im STANDARD-Gespräch: "Sie dürfen nicht vergessen, dass manche Leute zum Zeitpunkt der Befragung selber noch nicht wissen, wen sie wählen werden."

Das ist ein markanter Unterschied zu den 1970er- und den frühen 1980er-Jahren. Damals war der Großteil der Wahlberechtigten Stammwähler einer der damals drei existierenden Parteien. Selbst wenn jemand bei der sogenannten Sonntagsfrage nicht sagen konnte oder wollte, wen er oder sie am kommenden Sonntag wählen würde, so konnten die Meinungsforscher doch anhand anderer Fragen mit recht hoher Treffsicherheit sagen, welche Wahlentscheidung der oder die Befragte treffen würde. So wurden etwa regelmäßige Kirchgänger als wahrscheinliche ÖVP-Wähler, treue Gewerkschaftsmitglieder als wahrscheinliche SPÖ-Wähler registriert.

Zuordnungen existieren nicht mehr

Aber solche Zuordnungen funktionieren nicht mehr. Es ist ja nicht einmal mehr sicher, dass die Wahlberechtigten von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, da ja die Wahlbeteiligung kontinuierlich sinkt.

"Wir haben ein Problem mit der Sonntagsfrage", räumt Hajek ein: "Erstens sagen die Menschen immer weniger gern, wen sie wählen. Zweitens gibt es das Problem der Erreichbarkeit: Ältere Wahlberechtigte erreicht man am ehesten über das Festnetz, jüngere über das Mobiltelefon – und die ganz Jungen am ehesten online. Drittens gibt es immer weniger verlässliche Modelle, wie man Unentschlossene korrekt zuordnet."

Dies trifft besonders auf FPÖ-Wähler zu. Hajeks Erfahrung aus den letzten Wahlgängen: Bei der Steiermark-Wahl waren die Freiheitlichen deutlich "underreported", bei der Oberösterreich-Wahl dagegen hatte das Modell funktioniert. Aber just als die Meinungsforscher glaubten, ein Rezept gefunden zu haben, zeigte sich bei der Wien-Wahl, dass die FPÖ dort überschätzt worden ist.

Stimmungswähler entscheiden spontan

Hajek führt das auch darauf zurück, dass ein Teil der Befragten tatsächlich sehr spät über die Teilnahme an der Wahl und über den zu wählenden Kandidaten entscheidet: "Diese Late Deciders haben nicht einen einzigen Kandidaten oder eine einzige Partei im Kopf, sondern zwei oder drei – das sind Stimmungswähler, bei denen oft eine sehr spät ankommende Botschaft über die das Stimmverhalten entscheidet."

Ganz verkehrt wäre es, wenn sich die politische Marktforschung jetzt völlig zurückzöge – "wenn wir nicht weiterforschen, finden wir nie ein funktionierendes Modell". (Conrad Seidl, 26.4.2016)