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Gesund dank Räucherkegeln am Rücken? Mit Medizin haben solche "Behandlungen" nichts zu tun.

Foto: EPA/HOW HWEE YOUNG

"Alternativmedizin" klingt sympathisch. Vor allem dann, wenn einem eine potenziell unangenehme medizinische Behandlung bevorsteht, ist die Aussicht auf eine "Alternative" verlockend. Bei genauerer Betrachtung ist aber allein der Begriff schon ziemlicher Unsinn. Denn "Alternativmedizin" ist weder eine Alternative, noch handelt es sich dabei um Medizin. Das Gleiche gilt für den oft synonym verwendeten Begriff "Komplementärmedizin", der andeutet, es handle sich dabei um eine Erweiterung konventioneller medizinischer Behandlungen.

Wer sich damit beschäftigt, findet schnell eine erstaunliche Vielzahl an "Medizinen". Da ist zum Beispiel die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM). Oder die indische Medizin Ayurveda. Es gibt eine Anthroposophische Medizin, eine Schamanische Medizin und die Neue Germanische Medizin (die schon früher Thema dieser Kolumne war).

Verschleierter Unsinn

Diese große Variation ist überraschend. Zumindest wenn man davon ausgehen würde, dass es sich bei all diesen Heilkünsten um evidenzbasierte Methoden auf wissenschaftlichen Grundlagen handelt. Denn ein chinesischer Körper funktioniert nicht anders als ein indischer oder ein europäischer. Eine objektive und nachvollziehbare Medizin sollte daher in China zu den gleichen Ergebnissen kommen wie in Indien, Europa oder sonst irgendwo auf der Welt.

Eine "Alternativmedizin" macht genauso wenig Sinn, wie es eine "Alternativphysik" oder eine "Alternativchemie" tun würde. Es gibt nur eine Welt, und die Naturwissenschaft ist der Versuch, diese eine Welt objektiv und nachvollziehbar zu beschreiben. Sie basiert auf der Verifikation beziehungsweise Falsifikation von Hypothesen. Wenn etwas nicht verifiziert werden kann oder gar nachweislich falsch ist, dann ist es kein Teil der Naturwissenschaft. Und es wird auch dann kein Teil davon werden, wenn man es "Alternativwissenschaft" nennt (wie zum Beispiel im Fall der aus antisemitischen und ideologischen Gründen entstandenen "Deutschen Physik").

Was nicht funktioniert, ist keine Medizin

Ob die Medizin nun in ihrer Gesamtheit eine Naturwissenschaft ist oder nicht, sei dahingestellt. Aber auf jeden Fall geht es auch hier um die Verifikation und Falsifikation von Hypothesen. Die Frage lautet: Ist ein Medikament oder eine Therapie nachweislich in der Lage, besser als ein reines Placebo zu wirken? Wenn ja, dann kann dieses Medikament oder diese Therapie Teil einer medizinischen Behandlung werden (vorbehaltlich weiterer Forschung zu Nebenwirkungen et cetera). Und wenn nicht – dann nicht!

Eine "Alternativmedizin" kann es in diesem Kontext nicht geben. Der britische Komiker und Musiker Tim Minchin hat das folgendermaßen zusammengefasst: "You know what they call alternative medicine that's been proved to work? – Medicine." "Alternativmedizin", die funktioniert, ist Medizin. Und alles, was nicht funktioniert, ist keine Medizin. Als zum Beispiel die chinesische Pharmakologin Tu Youyou die in der Traditionellen Chinesischen Medizin erwähnten Heilpflanzen wissenschaftlich untersuchte und aus einer davon schließlich den Wirkstoff Artemisinin isolieren konnte, der heute weltweit zur Behandlung von Malaria eingesetzt wird, hat sie damit nicht die TCM bestätigt. Sie hat medizinische Forschung betrieben und dafür im Jahr 2015 zu Recht den Medizin-Nobelpreis bekommen.

Pseudowissenschaft

Worte wie "Alternativmedizin" und "Komplementärmedizin" sind nichts anderes als Euphemismen, die davon ablenken sollen, dass es für die dort verwendeten Methoden keinen wissenschaftlichen Nachweis gibt. Gäbe es diesen Nachweis, wäre man ja schon längst Teil der Medizin und müsste sich nicht mehr "Alternativ" nennen.

Eine "Alternativmedizin" gibt es nicht. Genauso wenig übrigens wie eine "Schulmedizin". Es gibt Medizin, die funktioniert. Und es gibt jede Menge Methoden, die das nicht tun. Sie als "Alternative" zu bezeichnen verleiht ihnen einen Status, der ihnen nicht zusteht. Die Paarung "Alternativmedizin/Schulmedizin" suggeriert ein Zusammentreffen auf Augenhöhe und stellt unbelegte und widerlegte Verfahren auf eine Stufe mit evidenzbasierter wissenschaftlicher Forschung. Ein wesentlich besserer Begriff für die Alternativmedizin wäre "Pseudomedizin". Oder aber schlicht und einfach: Unsinn. (Florian Freistetter, 26.4.2016)