Die Uno sucht einen neuen Generalsekretär. Die Erwartungen sollten allerdings nicht zu hoch sein, sagt der Politologe Varwick.

Ban Ki-moons Amtszeit als Generalsekretär der Uno neigt sich dem Ende zu, alle Augen sind auf den potenziellen Nachfolger oder die Nachfolgerin gerichtet. Die Wahl soll diesmal transparenter erfolgen, so stellten sich auch alle bisher bekannten Kandidaten öffentlichen Hearings. Der Politologe Johannes Varwick warnt aber davor, zu große Erwartungen in die "demokratischere Wahl" des neuen Generalsekretärs zu setzen. Es könnten ohne weiteres noch weitere Kandidaten aus dem Hut gezaubert werden, sollte keine konsensfähige Persönlichkeit unter den aktuellen Bewerbern sein.

STANDARD: Im Herbst wird eine Nachfolge für Ban Ki-moon mit neuem Prozedere gewählt, weltöffentliche Hearings finden statt. Macht die Neuerung die Wahl gerechter?

Varwick: Die UN-Charta ist hier sehr klar. Nach Artikel 97 hat der Sicherheitsrat ein Vorschlagsrecht, und die Generalversammlung muss zustimmen. Das ist ein relativ schwieriges Doppelquorum. Es kann keinen Kandidaten geben, der nicht vom Sicherheitsrat einerseits und von der Generalversammlung andererseits gewollt ist. Dass das neue Prozedere dazu führt, dass das Verfahren tatsächlich demokratischer und transparenter wird, halte ich für nicht ausgemacht. Man muss sich darüber klar sein, die Uno ist keine Art Weltparlament, und deswegen gibt es auch keine demokratische Wahl.

STANDARD: Es existiert die nicht festgeschriebene Tradition der regionalen Rotation. Russland pocht darauf, dass diesmal ein Kandidat aus Osteuropa an der Reihe ist. Unter den Generalsekretären der letzten 70 Jahre war keine einzige Frau. Haben also diesmal Osteuropäerinnen die größte Chance?

Varwick: Das muss nicht sein. Das Problem ist, dass Russland nur eine Person unterstützen wird, die nicht zu russlandkritisch ist. Die aktuellen Kandidatinnen und Kandidaten aus Osteuropa sind aber relativ russlandkritisch. Es kann durchaus dazu kommen, dass Russland zuletzt noch einen ganz anderen Kandidaten aus dem Hut zaubert, sollte nach russischer Lesart unter den neun aktuellen kein konsensfähiger sein.

STANDARD: Wer ist die geeignetste Person unter den bisher bekannten Bewerberinnen und Bewerbern?

Varwick: Meine Favoritin – ohne dass ich etwas zu sagen hätte – wäre die ehemalige neuseeländische Ministerpräsidentin Helen Clark. Sie ist vor allem als ehemalige Chefin des UN-Entwicklungsprogramms auch in UN-Politik erfahren. Und sie steht für ein Thema, das die Vereinten Nationen in Zukunft noch stärker beschäftigen wird – nämlich die Frage, wie man eine stabile internationale Weltordnung baut. Auch Danilo Türk und António Guterres sind aussichtsreiche Kandidaten.

STANDARD: Die Position gilt als "unmöglichster Job der Welt". Was werden die Herausforderungen sein?

Varwick: Die erste Herausforderung wird sein, dass man die Vereinten Nationen im Spiel der internationalen Politik hält. Sie sind in den vergangenen Jahren erheblich unter Druck geraten. In einer Reihe von Krisen wie im Nahen Osten oder in Teilen von Afrika spielen sie überhaupt keine Rolle mehr, weil sich der Sicherheitsrat nicht einigen kann und die Uno so zu Untätigkeit verdammt ist. Hier kann der Generalsekretär keine Wunder bewirken, aber mit diplomatischem Geschick die UN besser involvieren. Eine zweite wichtige Aufgabe ist, die UN-Nachhaltigkeitsziele wirksamer durchzusetzen.

STANDARD: Die Reform der Uno stockt seit Jahren. Das Vetorecht der ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat ist einer der Hauptkritikpunkte. Kritiker sprechen von einer permanenten selbstverordneten Blockade. Geht es ohne Reformen?

Varwick: Es muss gehen. Wenn wir die Dinge realistisch betrachten, kommen wir zu der Erkenntnis, dass es keine Reform des Sicherheitsrats geben wird. Die bisherigen ständigen Mitglieder müssten einer Reform zustimmen, das wird nicht passieren. Der neue Generalsekretär wird mit diesem Sicherheitsrat leben müssen. Unterhalb dieser Ebene gibt es aber etliche Stellschrauben, an denen er oder sie drehen wird können. Unter anderem mit einer Reform der Arbeitsmethoden.

STANDARD: Was drängt noch zu Reformen?

Varwick: Ein wichtiger Bereich und Dauerbrenner in der UN-Reformgeschichte, angemahnt vor allem durch die USA, ist eine Managementreform. Ban Ki-moon und Kofi Annan haben daran schon gearbeitet, hier bleibt aber noch viel zu tun.

STANDARD: Kann die Uno ihre Rolle als globaler Ordnungsfaktor in der derzeitigen Form überhaupt noch erfüllen?

Varwick: Die Vereinten Nationen sind nur so stark, wie die Mitgliedsstaaten das wollen. Die Vereinten Nationen geraten aber auch immer mehr durch einen veränderten Multilateralismus zunehmend unter Druck. Es gibt andere Gremien und Formate wie die Koalition der Willigen oder die G20, die in der internationalen Politik zunehmend wichtig werden. Die Stärke der Uno ist aber, dass sie das einzige globale Forum ist.

STANDARD: Wie bewerten Sie die Amtszeit Bans?

Varwick: Wenn Ban teilweise als schwacher Generalsekretär bewertet wird, tut man ihm unrecht. In meinen Augen war er ein guter Generalsekretär, der erkannt hat, dass die Uno zwar keine Wunder bewirken kann, aber doch in vielen konkreten Fragen Gutes leisten kann. Unter seiner Führung wurde das Klimaabkommen von Paris verhandelt, die Entwicklungsziele der Uno neu definiert. Im Bereich der Peacekeeping-Missionen gibt es einige Verbesserungen. Es hat sich unter Ban gezeigt, dass die Uno nicht unbedingt eine Lichtgestalt oder einen weltlichen Papst wie Kofi Annan braucht, der sehr wirkmächtig in der Öffentlichkeit war, in konkreten Fragen aber oft nicht so viel erreicht hat. Ban ist bescheidender und sieht sich eher als Manager. Ideal wäre eine Kombination aus beiden Ansätzen. Also eine charismatische Führungspersönlichkeit, die gleichzeitig ein bescheidender Manager ist. (Manuela Honsig-Erlenburg, 28.4.2016)