SPÖ-Abgeordnete Nurten Yilmaz stimmte gegen die Parteilinie.

Foto: APA/Robert Jäger

Aktionismus des VSStÖ Wien.

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Der neue Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) wendet sich bei der Parlamentssitzung am Mittwoch an den Dritten Nationalratspräsidenten und Bundespräsidentschaftskandidaten Norbert Hofer (FPÖ).

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Wien – Die umstrittene Verschärfung des Asylrechts hat am Mittwoch den Nationalrat passiert. Der "gesamtändernde Abänderungsantrag" zu Asylgesetz, Fremdenpolizeigesetz und BFA-Verfahrensgesetz wurde mit Stimmen von SPÖ, ÖVP und Team Stronach angenommen. Beim namentlichen Votum stimmten 98 Mandatare für und 67 gegen das Paket. Die SPÖ-Abgeordneten Katharina Kucharowits, Nurten Yilmaz, Daniela Holzinger und Ulrike Königsberger-Ludwig scherten wie angekündigt aus der Klublinie aus. Mit Nein stimmten auch die Abgeordneten von FPÖ, Grünen und Neos.

Die Novelle, die am Montag nach nur einwöchiger Begutachtungsfrist durch den Innenausschuss gewunken wurde, war bereits in den Wochen davor in die Kritik geraten. Neben der "Asyl auf Zeit" genannten Befristung der Aufenthaltsdauer für Asylwerber und subsidiär Schutzberechtigte auf drei Jahre und Einschränkungen beim Familiennachzug war es vor allem eine "Notstandsverordnung", die für Diskussionen sorgte. Diese "Sonderbestimmungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit während der Durchführung von Grenzkontrollen" erlaubt es der Regierung etwa bei einem außerordentlichen Flüchtlingszustrom, Asylantragsteller an der Grenze abzuweisen und in die Nachbarländer zurückzuschicken. Eine solche Sonderbestimmung kann für sechs Monate geltend gemacht und dreimal um jeweils weitere sechs Monate verlängert werden.

Kritik im Vorfeld

Mehr als 50 fast ausschließlich negative Stellungnahmen von Organisationen und Körperschaften wie dem UN-Flüchtlingshilfswerk, der Rechtsanwaltskammer, der Bischofskonferenz, der Universität Graz und dem Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte sowie mehrere Bundesländer hatten sich gegen das Paket in der vorliegenden Form ausgesprochen. Lediglich Gewerkschaftsbund und Arbeiterkammer befürworteten es im Vorfeld.

Neo-Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) sagte bei der Parlamentsdebatte am Mittwoch, bei der Asylnovelle gehe es auch um das Schließen von Lücken bei illegaler Einwanderung. Die Gutachter Bernd-Christian Funk und Walter Obwexer hätten die Rechtmäßigkeit festgestellt, und durch den Abänderungsantrag sei es gemeinsam mit dem Grenzmanagement möglich, die Flüchtlingskrise auch auf nationaler Ebene zu steuern. Die mögliche Sonderbestimmung sei kein "Notverordnungsrecht", so Sobotka.

Glawischnig: "Abschaffung des Asylrechts"

Bereits unter Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) habe es im Monatsabstand Nachschärfungen im Asylbereich gegeben, doch das am Mittwoch beschlossene Gesetz komme der "Abschaffung des Rechts auf Asyl in Österreich" gleich, sagte die grüne Klubobfrau Eva Glawischnig, die von einer "Aushebelung der Verfassung" sprach.

Grundrechtswidrig, verfassungswidrig und europarechtswidrig sei das Gesetz, sagte auch Neos-Abgeordneter Nikolaus Scherak. "Ich habe Angst, welches Menschenrecht Sie als nächstes abschaffen", warf er SPÖ und ÖVP mangelndes Geschichtsbewusstsein vor. Die aktuelle Notstandsverordnung erinnere ihn an das Jahr 1932, und gerade die Regierungsparteien müssten wissen, dass das nicht gutgegangen sei.

Gemeinsam mit Grünen und Neos stimmten die Abgeordneten der FPÖ gegen die Novellierung – aus anderen Gründen freilich. FPÖ-Abgeordneter Gernot Darmann ging das Paket nämlich zu wenig weit, er nannte die Abänderung ein "Placebo-Gesetz mit neuem Mascherl", bestehenden Gesetzen seien nur Minimalständerungen hinzugefügt worden.

Team-Stronach-Klubobmann Robert Lugar sagte, er finde die Idee charmant, gegen das Paket zu stimmen und so die Regierung anlaufen zu lassen, da diese wegen der SPÖ-Dissidenten auf die Stimmen seiner Fraktion angewiesen sei. Doch die Verantwortung sei zu groß: "Wir brauchen diese Verschärfung wie einen Bissen Brot", da der politische Islam im Land Fuß fasse.

Kurz vor der Abstimmung kam es zu einem kurzen Akt politischen Aktivismus': Von der Besuchergalerie aus wurden Flugzettel mit der Aufschrift "Geht nicht über Leichen! Das hält euch auch nicht über Wasser!" in den Saal geworfen. Auf Twitter bekannte sich der Verband Sozialistischer StudentInnen Wien (VSStÖ) zur Aktion.

Trauerarbeit statt Nationalrat

Die Nationalratssitzung war die erste, die der neue Innenminister von seinem Platz auf der Regierungsbank aus verfolgte – die längste Zeit als einziger Minister inmitten eines Dutzends leerer Sessel. Sie habe ihr Ressort "ganz exzellent geführt", sagte Sobotka über seine Vorgängerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP). Sie habe nie die europäische Dimension außer Acht gelassen, und diesen Kurs wolle er weiterentwickeln. Bei Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) bedankte er sich für den Budgetrahmen, über den er wieder den Bogen zur Sicherheit spannte; denn ein nicht unbeträchtlicher Teil des Finanzrahmens bis 2020 geht in die Personalentwicklung und -ausstattung von Bundesheer (1,2 Milliarden Euro) und Polizei (625 Millionen). Zudem werde er sich dem Kampf gegen Terrorismus und Kriminalität widmen.

Sobotka bekam Wünsche und Forderungen mit auf den Weg, einen Vertrauensvorschuss erhielt vor allem aus der eigenen Partei. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) sagte, als ausgebildeter Dirigent werde Sobotka die Polizei wie ein Orchester zu führen wissen. "Sicherheit hat einen Namen, nämlich Sobotka", erklärte ÖVP-Abgeordneter Johann Rädler.

"In aller Wertschätzung" meinte hingegen der Grüne Peter Pilz, anspielend auf Sobotkas bisherige Rolle als Finanzlandesrat in Niederösterreich, dass jeder mit "Fluchtgrund Erwin Pröll" Asyl im Nationalrat in Wien erhalten werde. Sobotka sei zugutezuhalten, dass er nicht mehr als eine Milliarde Steuergeld verspekuliert habe. Neos-Abgeordneter Niko Alm übergab Sobotka einen 1.000-Lire-Schein. Er wollte die Banknote der ehemaligen italienischen Währung als Wetteinsatz verstanden wissen, dass Sobotka in zwei Jahren nicht mehr Innenminister sein werde.

In der Nationalratssitzung wurden außerdem strengere Regeln für den Amtsverlust von verurteilten Abgeordneten und obersten Organen beschlossen. Ab einem halben Jahr Freiheitsstrafe droht künftig eine Mandatsaberkennung. Die letzte Parlamentssitzung war jene am Mittwoch bereits für die Grünen-Abgeordnete Daniela Musiol – allerdings aus eigenem Antrieb. Sie freue sich, dass sie alle Spiele der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich sehen werde, sagte Musiol. Und möchte sich ihrer neuen Berufung widmen: Trauerarbeit. (Michael Matzenberger, 27.4.2016)