Wenig überraschend hält Thilo Sarrazin die offene Flüchtlingspolitik der deutschen Kanzlerin für desaströs. Die Einschätzung, dass (deutsche) Grenzen nicht geschützt werden können, hält er beim ehemaligen DDR-Kind Angela Merkel für, na ja, kurios.

Doch Sarrazin ist vorsichtiger geworden. Anstatt seine Thesen hinzuknallen, wie beispielsweise beim Buch Europa braucht den Euro nicht, nähert er sich nun langsam an, gräbt weit in der Geschichte, um seine Aussagen zu untermauern und philosophisch aufzufetten. Das wirkt sich auf den Umfang aus. 570 Seiten hat das neue Werk, in dem der Ex-Bundesbanker vor allem über Flüchtlinge und Angela Merkel schreibt. Und über das Wunschdenken räsoniert, das die deutsche Politik seiner Ansicht nach prägt. Ideologie statt Fakten macht er dingfest und verweist dabei auf Max Weber, nach dem Motto: "Der Christ tut recht und stellt den Erfolg Gott anheim."

Sarrazin ist, das ist bekannt, ein scharfer Geist und keine sehr sympathische Persönlichkeit. Seine ausufernden Überlegungen und Erklärungen zum Staatswesen an sich wirken oberlehrerhaft. Über weite Strecken liest sich das Buch wie ein Argumentarium rechter Parteien. Dennoch ist es keineswegs "Mehr Unsinn von Sarrazin" wie Der Spiegel abfällig titelt. Diskussionen darüber, was zu tun ist, wenn die Migrationswelle nicht abebbt, müssen erlaubt sein.

Leider nur bleibt Sarrazin gerade in dieser Frage neue Antworten oder Ideen schuldig. Er reißt nur Wohlbekanntes an: dass es ein Fehler war, Schengen mit seiner Reisefreiheit im Inneren zu etablieren, ohne den Grenzschutz nach außen zu festigen. Oder dass ein starker Zentralstaat die Probleme, die auch im Gefolge der Finanzkrise aufpoppten, leichter löst als eine lose, in vielen Fragen zerstrittene Union. Solche "Antworten" sind mittlerweile Common Sense, von Sarrazin erwartet man sich da eigentlich mehr.

So meint der Autor, dass die Länder, aus denen Migration stattfindet und die nicht in Kriege verstrickt sind, beginnen müssten, ihre Probleme "aus eigener Kraft zu lösen" – dies ist keine sehr weltbewegende Einsicht von jemandem, der ansonsten vorgibt, für alles und jedes Antworten zu haben: So wird das deutsche Schulwesen ebenso gestreift wie die Medien oder die Schulden bei der Deutschen Bundesbahn.

Streckenweise will man Sarrazin ja zustimmen, wäre das Wording nicht häufig abstoßend. Etwa, wenn er von "Gesinnungsfetischisten" und "Jahrgangskohorten von Flüchtlingen" spricht. (Johanna Ruzicka, 27.4.2016)