Moskau/Kiew – Hungerstreik als letzte Instanz: Der TV-Moderator Sawik Schuster hat in seiner Sendung schwere Vorwürfe gegen die ukrainische Führung erhoben. Den Entzug seiner Arbeitserlaubnis verband der 63-Jährige mit politischen Motiven: "Die Obrigkeit ist in den gewöhnlichen postsowjetischen Zustand verfallen, in dem sie nichts Kritisches, nichts Vernünftiges hören will", sie konserviere sich selbst, sagte er. Er werde allerdings nicht aufgeben, sondern um sein Recht auf freie Meinungsäußerung im Fernsehen kämpfen: "Ich erkläre einen Hungerstreik, bis mir das Arbeitsrecht in der Ukraine wiedergegeben wird."

Das Arbeitsamt hatte Schuster die Erlaubnis entzogen, nachdem das Finanzamt ihn der Steuerhinterziehung in großem Umfang beschuldigt hatte. Schuster soll Einkünfte von umgerechnet 1,34 Millionen Euro nicht versteuert haben. Zudem werden leitenden Angestellten seiner TV-Produktionsfirma Steuervergehen vorgeworfen.

Karriere bei russischem TV-Sender

Schuster, der in Vilnius geboren wurde, aber 1971 aus der Sowjetunion ausgewandert war und sowohl die kanadische als auch die italienische Staatsbürgerschaft besitzt, arbeitete jahrelang bei Radio Liberty und machte später bei dem russischen Fernsehsender NTW Karriere. Nach der Übernahme des Kanals durch den staatlichen Energieriesen Gazprom wurde seine Sendung abgesetzt, er selbst verlor Arbeitserlaubnis und Aufenthaltsgenehmigung und wanderte 2004 in die Ukraine aus. Dort wurde er zu einem der bekanntesten Fernsehmoderatoren.

Der Duma-Abgeordnete Ilja Ponomarjow, wie Schuster aus Russland in die Ukraine geflüchtet, nennt im Gespräch mit dem STANDARD den Entzug der Arbeitserlaubnis für Schuster eine "empörende Geschichte". Nicht die Steuervorwürfe, sondern Schusters "Professionalismus" als Journalist sei Grundlage der Entscheidung gewesen. Es zeige sich, dass die Bürokratie sich seit dem Sturz Wiktor Janukowitschs nicht geändert habe und nach wie vor empfindlich und gekränkt auf Enthüllungen reagiere.

Druck auch auf weiteren TV-Moderator

Schuster ist nicht der einzige Journalist, der unter Druck geraten ist. Zuletzt musste bereits Jewgeni Kisseljow als Moderator der Polittalkshow "Schwarzer Spiegel" des Senders Inter (gehört dem derzeit in Wien befindlichen Oligarchen Dmitri Firtasch) zurücktreten. Auch Kisseljow deutete politische Gründe für sein Ausscheiden an: "Die Notwendigkeit, sich mit einem neuen Projekt im unabhängigen Journalismus zu betätigen, ist schon lange herangereift", sagte er. Bei Inter sei das nicht möglich.

Kisseljow, als NTW-Chefredakteur einst Schusters Vorgesetzter, ist ebenfalls vor Jahren aus Moskau nach Kiew gekommen und hat sich dort als einer der populärsten TV-Moderatoren etabliert. Immerhin schlägt der Skandal um die beiden Moderatoren größere Wellen im ukrainischen Politik-Establishment als der Mord an dem Maidan-kritischen Journalisten Oles Busina im vergangenen Jahr, wo die Mordverdächtigen inzwischen wieder auf freien Fuß gesetzt wurden.

Kritik an Regierung

Im Fall Schuster/Kisseljow gibt es heftige Kritik an der politischen Führung. Immer noch zögen in der Ukraine die Oligarchen die Fäden, kritisierte Odessas Gouverneur Michail Saakaschwili. Der Rada-Abgeordnete Dmitri Dobrodomow forderte eine Entschuldigung der Regierung wegen der Maßregelung Schusters. Populistenführer Oleh Ljaschko erklärte sarkastisch: "Wiktor Janukowitsch sitzt jetzt in Rostow und trauert – er wusste nicht, dass man so vorgehen kann."

Auch Präsident Petro Poroschenko hat inzwischen reagiert. Er forderte die Behörden auf, "die Angelegenheit zu klären". (André Ballin, 27.4.2016)