"Monsieur Chocolat" träumt davon, Shakespeare zu spielen, wird stattdessen aber immer mehr Gefangener seiner Rolle als Clown: Omar Sy überzeugt als Hauptdarsteller in Roschdy Zems Filmdrama.

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Trailer (französisch mit engl. Untertiteln).

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Wien – Aufstieg und Fall einer Modeerscheinung – so könnte man in Kurzfassung die Geschichte von Monsieur Chocolat erzählen: Ein Afrikaner wird Anfang des 20. Jahrhunderts in Frankreich entdeckt und macht Karriere als Partner eines bekannten Clowns. Bald wird auch die bessere Gesellschaft auf ihn aufmerksam, in dem Maß aber, in dem er populär wird, wird er auch Gefangener seiner Rolle – und des Impresarios, der ihn nicht mehr aus der Identität des Chocolat entlassen will. Dabei hat er doch einen großen Traum: Shakespeare zu spielen. Roschdy Zems historisches Drama ist konventionell gestrickt, hat aber einen überzeugenden Hauptdarsteller: Omar Sy, seit Ziemlich beste Freunde ein Weltstar, fand in Monsieur Chocolat eine Rolle, mit der ihn viel verbindet.

STANDARD: Herr Sy, Sie haben selbst als Komiker begonnen und sind so zum Film gekommen. In "Monsieur Chocolat" spielen Sie einen Clown. War das eine schwierige Rolle?

Sy: Die Kunst der Clowns war mir nicht vertraut, ich musste sie für den Film lernen. James Thierrée, der meinen weißen Partner Footit spielt, wuchs in einem Zirkus auf. Er ist der Enkelsohn von Charlie Chaplin, er hat mir alles beigebracht. Wir verbrachten vier Wochen miteinander, um die Nummern für den Film zu erarbeiten.

STANDARD: Sie sind selbst Komiker. Was ist der wesentliche Unterschied?

Sy: Als Komiker arbeite ich mit Worten, als Clown arbeitest du mit deinem Körper, ohne zu sprechen, das war für mich anfangs schwierig. An das Spiel zu zweit hingegen war ich gewöhnt, ich hatte auch einen Partner, übrigens auch einen Weißen.

STANDARD: Chocolat und Footit nehmen eine klassische Rollenverteilung ein.

Sy: Das Schema kennt man aus vielen Zusammenhängen: Der Weißclown und der dumme August, der eine kennt sich aus, der andere stellt die naiven Fragen. Auf diese Weise kann man sehr gut die Funktionsweisen von Gesellschaften herausarbeiten.

STANDARD: Roschdy Zem, der Regisseur von "Monsieur Chocolat", hat marokkanische Wurzeln. Was haben Sie von ihm gelernt?

Sy: Er hatte einen sehr interessanten Blick auf die Geschichte. Roschdy wollte Chocolat als einen Mann und Künstler zeigen, der eben schwarz ist; nicht dick auftragen, sondern einfach von ihm erzählen, wie er als ein Mann war, mit seinen großen Momenten und seinem Scheitern.

STANDARD: Welche Bedeutung hat der Zirkus heute noch?

Sy: Eher wohl die einer Randerscheinung. Heute denkt man bei Zirkus an kränkliche Tiere in kleinen Käfigen und an Clowns, über die niemand mehr lacht. Dabei gibt es so eine große Tradition. Das ist aber alles ins Kino und in die Popmusik hinübergewandert. Heute ist alles Zirkus, könnte man sagen, der Zirkus selbst aber ist leer. Ein Körperkomiker wie Jim Carrey ist ein wunderbarer Clown, er ist aber ein Filmstar.

STANDARD: Das zentrale Thema von "Monsieur Chocolat" ist der Rassismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Frankreich. Hat sich diesbezüglich etwas verbessert?

Sy: Die Welt ist leider mehr denn je rassistisch. Damals beruhte der Rassismus auf Unwissen, die Menschen kannten einander nicht, sie staunten über schwarze Menschen und fragten sich: Sind das auch Menschen? Heute ist es anders. Heute reibt man sich an Unterschieden, wir glauben nicht an das Gemeinsame. Deswegen ist der Rassismus heute gewalttätiger, weil wir es eigentlich besser wissen. Es hat sich also viel verändert, aber nicht zum Besseren. Dabei ist es unser Reichtum, dass so viele Unterschiede existieren.

STANDARD: Auf Afrika richten sich nach wie vor viele Vorurteile. Welche Beziehungen haben Sie, ein Franzose, der in Amerika lebt, zu Afrika? Fühlen Sie sich verbunden?

Sy: Natürlich, das ist meine Geschichte. Meine Eltern kommen aus Afrika, meine Wurzeln sind dort, ich war oft dort, als ich jung war, und ich fahre immer noch oft in den Senegal. Ich lerne von Afrika viel für mein Leben in Frankreich und sogar in den USA, eine bestimmte Sicht auf die Dinge, weil ich diese Wurzeln in mir trage. Ich habe dadurch mehr Verständnis für die Welt.

STANDARD: Europa ringt schon lange um Antworten auf die vielen Versuche von Menschen hierherzukommen. Man unterscheidet zwischen politischen Flüchtlingen und Wirtschaftsflüchtlingen, weiß aber, dass der Unterschied problematisch ist. Manche befürworten eine radikale Lösung: offene Grenzen. Wie sehen Sie das?

Sy: Wenn ich darauf eine Antwort hätte, wäre ich der Präsident von Frankreich. Ich weiß, dass diese Menschen in Not sind. Wir dürfen ihnen die Hilfe nicht verweigern, und wir können nicht so tun, als wüssten wir nichts. Es ist nicht leicht, das eigene Land, das eigene Heim zu verlassen und sich auf den Weg ins Unbekannte zu machen. Sollen wir die Grenzen öffnen? Ich weiß es nicht. Wir alle müssen uns ernsthaft damit auseinandersetzen.

STANDARD: Nach dem Welterfolg von "Ziemlich beste Freunde" sind Sie in die USA übersiedelt. Warum genau?

Sy: Ich wollte mich ein wenig zurückziehen und nachdenken, wie es weitergehen könnte. Der Plan war, ein Jahr in Los Angeles zu verbringen, Zeit zu haben für den kleinen Sohn. Jetzt lebe ich dort.

STANDARD: In Amerika gab es anlässlich der letzten Oscars wieder eine Rassismus-Debatte. Ist Europa da schon weiter?

Sy: Es dauert, aber in den USA verändert sich viel. Ich denke, Frankreich muss stärker daran arbeiten. Können Sie mir drei große, farbige Schauspieler in Frankreich nennen? – Sehen Sie! Und in Amerika fällt einem doch sofort eine Menge ein. Alle Minoritäten in Frankreich müssen stärker repräsentiert sein. (Bert Rebhandl, 29.4.2016)