Werner Faymann hat Erklärungsbedarf: Mit Business as usual kommt der Kanzler und SPÖ-Chef nach der Pleite bei der Bundespräsidentenwahl bei den eigenen Genossen nicht mehr durch.

Foto: Newald

Wien – So eng war es für Werner Faymann noch nie: Wer sich in der SPÖ umhört, stößt immer wieder auf dieses Urteil. Nicht wenige Genossen, bis in die Schaltzentralen der Partei hinein, haben den Obmann sogar bereits abgeschrieben. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Faymann das noch einmal durchsteht", sagt einer aus dem inneren Kreis der SPÖ: "Dafür ist der Ärger quer durch die Partei einfach zu groß."

Es ist eine Revolte des Mittelbaus, die sich nach der Pleite bei der Präsidentenwahl in der Kanzlerpartei abzeichnet. Die Führungsriege, von den Landeschefs bis zu den Gewerkschaftsbossen, hat Faymann bisher nicht direkt angegriffen, doch dahinter brodelt es gewaltig. Viele Funktionäre aus der zweiten und dritten Reihe der einst so disziplinierten Partei haben in den vergangenen Tagen ihrem Unmut freien Lauf gelassen – und die Reaktionen der Spitze fachten das Feuer nur noch mehr an.

Termin per Rundmail

Nach der Krisensitzung des Parteipräsidiums am Montag hatte Faymann als einziges Ergebnis zu bieten, dass Personaldebatten unerwünscht seien, und auch nun hält er an Business as usual fest. Der nächste Parteitag werde wie geplant im Herbst, am 12. und 13. November, angesetzt, verlautbarte Bundesgeschäftsführer Gerhard Schmid am Mittwoch per Rundmail an die Parteistellen lapidar.

Schmid verweist auf eine Rücksprache mit den Landesparteichefs, doch nicht alle sind mit dem Terminplan einverstanden. Ihm tue es leid, dass der Parteitag nicht schon vor dem Sommer stattfinde, sagt der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser, denn die Sozialdemokraten müssten ihre Konflikte ehestmöglich ausdiskutieren. Der steirische SPÖ-Chef Michael Schickhofer ist ebenfalls für eine Vorverlegung zu haben, Salzburgs SPÖ-Chef Walter Steidl drängt geradezu darauf. Der Lebensnerv der Partei sei getroffen, sagt er, "die Funktionäre gehen nicht mehr mit".

Neuausrichtung und Rücktritt

Warum die Frage wichtig ist: Am Parteitag könnten die Genossen ja nicht nur über die nun viel beschworene "Neuausrichtung" diskutieren, sondern gleich auch einen neuen Parteichef wählen. Offen ausgesprochen hat das Tanja Wehsely, Vize-Klubchefin in Wien: Sie sprach sich für Faymanns Rücktritt aus.

Doch kampflos wollen sich Faymann und seine Anhänger nicht geschlagen geben. Gemeinsam mit dem Wiener Bürgermeister Michael Häupl versuchte der Kanzler am Donnerstagabend noch einmal, die Partei zur Ruhe zu bringen. Er denke nicht daran, den Parteitag zu verlegen oder gar zurückzutreten, sagte der SP-Chef in einem Interview in der ORF-"Zeit im Bild". "Befindlichkeitsdebatten" lehne er ab, eine Partei sei "keine Selbstfindungsgruppe". Der Kanzler: "Ich bin im achten Jahr, rechnen Sie auch weiter mit mir."

Häupl sprang ihm ebendort mit einer mutigen Prognose zur Seite: Er gehe davon aus, dass der nächste Kanzler wieder ein Sozialdemokrat sei und Werner Faymann heiße. Von Personaldiskussionen halte er "gar nichts".

Am Donnerstag rückten auch mehrere Genossen zum Gegenangriff aus. Wehsely solle sich wie alle anderen Kritiker "vom Balkon ins Wohnzimmer" zurückziehen, mahnt Wiens Wohnbaustadtrat Michael Ludwig und lehnt die Vorverlegung des Parteitages kategorisch ab. Bis November sollten keine Personen in der SPÖ ausgetauscht werden, sagt er zum STANDARD: "Selbstverständlich" sollte sich Faymann dort wieder zur Wahl aufstellen lassen.

Schuldzuweisungen und Anpatzereien

"Was wir jetzt am wenigsten brauchen können, sind falsche Schuldzuweisungen und Anpatzereien", sekundiert Ernst Nevrivy, Bezirksvorsteher der Donaustadt: "Das schreit nach Rücktritt: aber nicht von Kanzler Faymann, sondern von Frau Wehsely."

Weitere scharfe Konter: Wehsely stelle sich nicht nur gegen Faymann, sondern auch gegen Bürgermeister Michael Häupl, der keine Personaldebatte wolle, kritisiert die Gemeinderatsabgeordnete Kathrin Gaal. Ihre Kollegin Barbara Novak spricht von einer kleinen Gruppe, die der Mehrheit der Wiener SPÖ im Verein mit einigen Medien "ihren Willen" aufzwingen wolle: "Das hat schon genug kaputtgemacht, wie nicht zuletzt der Wahlsonntag bewiesen hat."

Stellvertreterkämpfe

Verteidiger Wehselys sind überzeugt, dass die Kritiker von Faymann ermutigt worden seien. Landesparteisekretär Georg Niedermühlbichler sagt dazu nur so viel: "In der Wiener SPÖ gibt es für niemanden einen Grund zurückzutreten. Ich lasse mir keine Personaldebatte zu uns hineinziehen."

Der Streit zeigt die tiefe Kluft, die sich in der SPÖ im Zuge der Flüchtlingsdebatte geöffnet hat: Auf der einen Seite stehen die linken Kritiker von Faymanns Schwenk hin zu einer restriktiveren Politik, auf der anderen die Befürworter einer härteren Gangart. (Gerald John, David Krutzler, Thomas Neuhold, 28.4.2016)