Wien – Parteidisziplin und Loyalität sind traditionell hohe Tugenden in der SPÖ, doch das Wahldebakel vom vergangenen Sonntag ließ Dämme brechen. Funktionäre machen nun ihrem Unmut Luft – manche auch öffentlich. der STANDARD hat Stimmen aus dem Mittelbau der SPÖ eingefangen.

"Wenn ich als Betriebsrat eine solche Wahlniederlage einfahre, würde ich zurücktreten", sagt Franz Georg Brantner, Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellten in Wien: "Und genau das würde ich an Werner Faymanns Stelle machen." Dass die SP-Spitze so tue, als sei nichts passiert, "ist, als ob man mit 200 km/h gegen eine Betonmauer fährt".

Der Draht zu den Leuten fehlt

Schwankende Haltungen – von der Wehrpflicht bis zur Flüchtlingsfrage – machten die SPÖ verwechselbar, sagt Brantner, und es fehle der Draht zu den Leuten: "Wenn ein großer Teil der Energie für Machterhalt draufgeht, bleibt für die Arbeit nichts übrig."

Auch Thomas Pupp sieht in der "Kehrtwende" des Kanzlers – "als er begonnen hat, die Rhetorik der Freiheitlichen zu übernehmen" – einen Kardinalfehler: "Das hat intern viele abgeschreckt und das Gefühl erweckt, dass wir Sozialdemokraten Wendehälse sind." An die Besserungsfähigkeit Faymanns glaubt der Tiroler Landtagsabgeordnete nicht: "Diese Rhetorik in der ersten Schockstarre, dass wir ein schlechtes Wahlergebnis nun erst einmal analysieren müssen, das erzählen wir seit Jahren, das kann niemand mehr hören." Pupp wünscht sich einen neuen SPÖ-Chef, "der Lust an Politik weckt. Jemand wie Kreisky oder Vranitzky."

Völlig neu

Die Partei müsse sich "völlig neu" aufstellen, fordert der steirische ÖGB-Präsident Horst Schachner, dazu müssten bereits in den nächsten zwei bis drei Wochen klare Konturen gezogen werden. "Wenn die SPÖ jetzt nicht umdenkt", warnt er, "ist die Partei kaputt und nur noch eine politische Randgruppe."

Die Bundespartei müsse sich der Diskussion endlich stellen, fordert Julia Herr von der Sozialistischen Jugend: "Es ist fünf vor zwölf, wer das immer noch leugnet, hat nichts verstanden."

Die SPÖ sei in einer "total dramatischen Situation", befindet der designierte Grazer Parteichef Michael Ehmann: Denn der Protest habe "deutlich mehr Breite" als bei früheren Debatten. (jo, mika, mue, 29.4.2016)