Unter welchen Bedingungen die Farc-Kampfer ihre Waffen abgeben ist noch Gegenstand der Verhandlungen.

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Die Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der linken Farc-Guerilla, die seit September 2012 in Kuba laufen, konnten nicht wie geplant im März erfolgreich abgeschlossen werden. Einer der Streitpunkte, an denen die Gespräche noch scheitern könnten, ist eine Sicherheitsgarantie für Guerillakämpfer, die ihre Waffen niederlegen. Bert Eder sprach mit dem Kolumbien-Experten Manfredo Koessl über Drohungen rechtsextremer Gruppen, politische Gewalt und Hausmittel gegen Pflanzengifte.

STANDARD: Anfang April hat ein "bewaffneter Ausstand" der Gruppe Clan Úsuga sechs kolumbianische Provinzen lahmgelegt, fünf Polizisten und zwei Zivilisten wurden ermordet. Es gibt Berichte, dass die Kriminellen zwei Millionen Pesos, also etwa 600 Euro für die Tötung eines Uniformträgers bezahlen. Wie viel Macht haben diese Banden?

Koessl: Die Gewalt in Kolumbien ist ein vielschichtiges Problem: Der Staat hat von 2004 bis 2006 Friedensverhandlungen mit paramilitärischen Gruppen wie den Autodefensas Unidas geführt, offiziell sind diese demobilisiert. Die entwaffneten Kämpfer haben aber nichts anderes gelernt und haben dadurch praktisch keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Wenn es mit der Wiedereingliederung der in die Gesellschaft nicht wirklich klappt, staatliche Unterstützung aber nur für einige Monate gewährt wird, tauchen sie irgendwann wieder in bewaffneten Gruppen auf. Dann werden wieder Friedensverhandlungen geführt … man kann das als Spirale betrachten. Das hat auch Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez eindrücklich beschrieben.

STANDARD: Im zentralamerikanischen El Salvador gab es nach Ende des Bürgerkriegs (1979 bis 1992) das Problem, dass demobilisierte Kämpfer über keine Ausbildung verfügten und deshalb höchstens Arbeit als Wachmänner fanden, woraufhin die Arbeitslosenzahlen stiegen. Wie könnte man es in Kolumbien schaffen, diesen Leuten Alternativen anzubieten?

Koessl: Hier gilt es, die großen Unternehmen dazu zu bewegen, Arbeitsplätze für die Wiedereingliederung zur Verfügung zu stellen.

STANDARD: Die Farc-Guerilla verlangt ein Eingreifen des Staates gegen rechte Paramilitärs, die ihrer Ansicht nach den Friedensprozess gefährden. Verteidigungsminister Luis Carlos Villegas spricht hingegen von einem "Gespenst, das die Farc erfunden haben", weil sie so die Verhandlungen in die Länge ziehen wollten. Wie real ist die Bedrohung?

In letzter Zeit mehren sich Drohungen gegen Aktivisten.

Koessl: Man darf nicht vergessen, dass der bisher letzte Versuch der Guerilla und der Linkspartei Unión Patriótica, Friedensverhandlungen zu führen und sich an die Ergebnisse zu halten, in einem Massaker geendet hat.

STANDARD: Damals ermordeten rechte Paramilitärs 3.000 Menschen, vom einfachen Unterstützer über Abgeordnete bis zu Präsidentschaftskandidaten …

Koessl: Genau deswegen ist es verständlich, dass die Guerilla da vorsichtig ist. Als Teil der Zivilgesellschaft ist man natürlich verwundbarer. Im Rahmen meiner Forschungstätigkeit hat mir ein rechtsextremen Kreisen nahestehender Gesprächspartner erklärt, er befürworte die Friedensverhandlungen. Denn wenn ehemalige Guerillakämpfer zu Stadträten oder Bürgermeistern gewählt würden, könne man sie dann besser "abholen". Das weiß die Guerilla natürlich auch: Die Waffen niederzulegen und sich ganz normal auf der Straße zu zeigen, wird für sie gefährlich.

STANDARD: Während dank des von der Farc-Guerilla ausgerufenen einseitigen Waffenstillstands die Gewalt in Kolumbien auf dem niedrigsten Stand seit 50 Jahren ist, haben Angriffe auf Bürgerrechtler, Gewerkschaftsmitglieder und politische Aktivisten laut dem kolumbianischen Conflict Analysis Research Center (CERAC) im letzten Jahr um 35 Prozent zugenommen. Ist bekannt, wer hinter diesen Angriffen steht?

Koessl: Mit Statistiken ist in Kolumbien Vorsicht geboten. Das wird viel hin- und herbewegt, bestimmten Morden wird ein politischer Hintergrund zuerkannt, dann wieder nicht. So ist belegt, dass nach Massakern die Leichen in verschiedenen Städten verteilt wurden, damit die Tat in den Statistiken nicht als "Massaker" aufscheint.

STANDARD: Wie ernst nimmt der kolumbianische Staat den Kampf gegen rechte Gewalt?

Koessl: Man darf in diesem Zusammenhang nicht unterschätzen, dass die Paramilitärs auf einflussreiche Unterstützer, nämlich auf Teile der regionalen Eliten, Kirche, Presse sowie der Streitkräfte und natürlich auch Teile der Bevölkerung zählen können.

STANDARD: Laut CERAC richtet sich die politische Gewalt zunehmend gegen LGBT-Aktivisten (9 von 63 Morden) und Indigenenführer (13 Morde). Was unternimmt die Regierung, um diese Gruppen zu schützen?

Koessl: Drohungen, Verfolgung und Ermordung von Aktivisten kommen in Kolumbien in unterschiedlichem Ausmaß seit Jahrzehnten vor. Wer sich sozial oder politisch engagiert, weiß, dass er sich damit in Gefahr begibt. So ist es auch vorgekommen, dass zum Beispiel Bürgermeister von außerhalb regieren mussten, weil es in ihren Städten zu gefährlich war. Es wird zwar immer wieder behauptet, der Staat gewährleiste dies oder jenes. Hier gilt es, die Machtaufteilung zwischen zentralen und lokalen Eliten zu beachten. Traditionell ist die meist in der Hauptstadt Bogota ansässige Zentralelite für "große" Politik- und Wirtschaftsthemen zuständig und stellt üblicherweise den Präsidenten, dessen Stellvertreter kommt meist aus einer lokalen Elite. Diese lokale Elite ist es, die im täglichen Geschäft mit Gewaltgruppen, seien es Paramilitärs, Guerilla oder Drogenhändler, Kontakt hat. Die große Ausnahme war Präsident Álvaro Uribe (2002 bis 2010), der zuvor Gouverneur der Provinz Antioquia war. Sein Amtsnachfolger Juan Manuel Santos, der wieder aus der zentralen Elite stammt, kann deshalb behaupten, er selbst habe nichts mit Paramilitärs oder den "Narcos" zu tun, lediglich Uribe habe Kontakte zu diesen gepflegt. Aber natürlich hat auch die Zentralelite – wenn auch indirekte – Beziehungen zu diesen Kreisen.

STANDARD: Santos war unter Uribe Verteidigungsminister, in diese Zeit fielen Skandale wie die "falsos positivos", als dass das Militär ermordete Zivilisten als im Kampf getötete Guerillakämpfer präsentierte. Wie glaubhaft ist es, dass er in dieser Position nichts von Übergriffen seiner Truppen bemerkt haben soll?

Koessl: Damals wollte man unbedingt Erfolge präsentieren, egal mit welchen Mitteln. Santos wurde ja auch erst als ernstzunehmender Präsidentschaftskandidat gesehen, als er den Luftangriff auf ein Farc-Lager im Nachbarland Ecuador anordnete, der eigentlich gegen internationales Recht verstieß.

STANDARD: Das Uno-Hochkommissariat für Menschenrechte warnte im März davor, dass bewaffnete Gruppen, die nach der offiziellen Beendigung des Konflikts aktiv bleiben, eine Gefahr für den Friedensprozess darstellten und forderte die kolumbianische Regierung auf, gegen diese vorzugehen. Welche Rolle können internationale Organisationen bei den Bemühungen um eine Verhandlungslösung spielen?

Koessl: Meiner Meinung nach hilft internationaler Druck viel, wenn es darum geht, die zentralen Eliten dazu zu bewegen, sich an den Verhandlungstisch zu setzen.

STANDARD: Wenn es zum Abschluss eines Friedensvertrages kommen sollte: Wie geht es weiter?

Kössl: Der kolumbianische Staat wird vor großen Problemen stehen. Wenn er tatsächlich die Hoheit über das gesamte Land erlangt, gibt es bei Themen wie Menschenrechte und illegale Ökonomie keine Ausreden mehr.

STANDARD: Neben dem Drogenexport ist auch illegaler Bergbau ein wachsendes Problem. Die Regierung meldet, in letzter Zeit zahlreiche Minen geschlossen zu haben …

Kössl: Wie lange diese Minen geschlossen bleiben und wie viele stattdessen neu angelegt werden, weiß allerdings niemand. Ein Gesprächspartner hat mir einmal erklärt, die umstrittenen Sprühaktionen gegen Kokaplantagen seien überhaupt kein Problem für die Drogenhersteller: Diese erführen durch Bestechung im Vorhinein von geplanten Flügen und besprühten ihre Pflanzungen dann mit "agua panela", einer Art Zuckerwasser, um so einen Schutzfilm zu bilden. Dadurch bleibe das Glyphosat für die Kokapflanzen wirkungslos. So könnten Regierung und Militär melden, wie viele Plantagen besprüht wurden, die USA, die die Einsätze finanzieren, sähen, dass ihr Geld gut angelegt ist, Glyphosat-Hersteller Monsanto freue sich über die Umsätze, und die Drogenhersteller selbst freuten sich, weil die nicht behandelte Vegetation in der Umgebung absterbe und sie so in der nächsten Anbausaison größere Flächen bestellen könnten. Ich habe das nicht überprüft, aber für mich klingt es plausibel. (Anmerkung: bereits 1992 meldete die kolumbianische Zeitung "El Tiempo", dass sich in manchen Regionen wegen Großeinkäufen durch Mohnbauern der Marktpreis für "panela", verkochten Zuckerrohrsaft, mehr als verdreifacht habe. (Bert Eder, 29.4.2016)