Berlin/Wien – Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hat die Vorbereitung von Grenzkontrollen an der Grenze zu Italien verteidigt. "Keiner in Österreich will eine Schließung des Brenners", sagte er am Donnerstagabend in Berlin. "Aber wenn jeden Tag Flüchtlinge und Migranten weitergewunken werden, dann haben wir keine andere Wahl, als Grenzkontrollen einzuführen, wie es andere Länder wie Deutschland schon zuvor gemacht haben."

Er setze aber auf eine Lösung mit Italien und der EU. "Wenn Italien diese Menschen versorgt und nicht automatisch Richtung Norden schickt, dann wird es gelingen, dass die Zahl derer, die sich auf den Weg machen, nach unten geht."

Alfano: Niedrigste Zahl an Flüchtlingen seit Jahren

Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) traf sich am Donnerstag mit Italiens Innenminister Angelino Alfano, bevor er am Freitag weiter nach Berlin flog. Alfano hatte die österreichischen Pläne zum Bau eines 400 Meter langen Zauns am Brennerpass als inakzeptabel kritisiert. Das Vorgehen sei umso unverständlicher, als die Zahl der über Italien nach Österreich kommenden Flüchtlinge derzeit so niedrig sei wie seit Jahren nicht.

Am Tag nach dem Treffen versprach Alfano, dass sich Italien im Umgang mit der Flüchtlingsproblematik engagieren wird, damit es zu keiner Grenzschließung am Brenner kommen werde. "Wir setzen uns ein, damit es keine Gründe, keine Entschuldigung und keinen Vorwand für die Errichtung einer Brenner-Mauer gibt", sagte Alfano nach Medienangaben vom Freitag. Italien werde mehr Personal einsetzen, um die Migrationsströme in Richtung Brenner auf den Straßen und in den Zügen stärker zu kontrollieren.

Alfano wiederholte gleichzeitig, dass es keinerlei Masseneinwanderung von Italien nach Österreich gebe. Er bezeichnete die Vorbereitungen für Grenzkontrollen am Brenner als "hinausgeworfenes Geld", denn es werde zu keinem Flüchtlingsandrang in Richtung Österreich kommen. "Ein Brenner-Zaun wäre ein großer Schaden für unseren Export, unsere Unternehmer und für unseren Tourismus", meinte Alfano.

Ebenfalls nach Sobotkas Rom-Besuch bekräftigte Italiens Außenminister Paolo Gentiloni, dass das Schengen-Abkommen zum freien Personen- und Warenverkehr nur in Notsituationen aufgehoben werden dürfe – und eine solche gebe es derzeit nicht. Es würden "keine Flüchtlingsmassen zum Brenner drängen", sagte Gentiloni in einem Radiointerview am Freitag. "Seit Tagen senden wir die Botschaft an Österreich, dass man das Schengen-Abkommen nicht einseitig aufheben kann. Vor allem nicht an einem derart geschichts- und symbolträchtigen Ort wie dem Brenner."

Auch Europastaatssekretär Sandro Gozi kritisierte Österreichs Vorgehen am Brenner: "Österreichs Position ist weder gerechtfertigt noch notwendig. Die EU-Kommission muss sich mit all ihren Kräften zum Schutz des Schengen-Abkommens einsetzen, das die Werte der EU repräsentiert. Das Schengen-Abkommen zu verteidigen bedeutet, Europa zu retten."

Abschottung durch Registrierungszentren

Am Freitag erklärten Sobotka und sein deutscher Amtskollege Thomas de Maiziere nach ihrem Treffen in Potsdam, dass Österreich und Deutschland Italien verstärkt in die Verantwortung nehmen wollen. Szenen wie auf der früheren Balkanroute dürften sich nicht wiederholen, sagten die Sie versprachen Italien Unterstützung mittels trilateraler Streifen: Österreichische, deutsche und italienische Beamte werden auf italienischem Boden in Züge steigen und kontrollieren. Außerdem werden die Hotspots in Italien mit österreichischen und deutschen Beamten verstärkt werden.

"Das bleibt in erster Linie eine italienische Aufgabe", stellten de Maiziere und Sobotka allerdings klar. Beide Politiker waren vor kurzem in Rom gewesen. "Italien muss dazu beitragen, dass die Schengen-Grenzen weiter durchlässig bleiben." Beide Innenminister haben nach eigener Aussage Rom klar gemacht, dass die internationalen Verpflichtungen zu erfüllen und die Kontrollen an den Binnengrenzen zu verstärken seien, ohne dass ein eigenes Regime aufgezogen werden müsse.

Mit dem Aufbau von Registrierungszentren und der Absicherung von Zugängen "kann kein Bild eines Abschottens mehr entstehen", so Sobotka. Mit der Politik des Durchwinkens, fügte de Maiziere hinzu, fördere man die Tendenz, dass Menschen von außerhalb Europas hierherkommen wollen.

Schwierigkeiten mit Maghrebstaaten

Was der EU mit der Türkei geglückt sei, werde mit den Maghrebstaaten wesentlich schwieriger sein. In Libyen warten, so Sobotka, zwischen 200.000 und einer Million Menschen, die in den Norden wollen, mehr als siebzig Prozent davon seien Wirtschaftsmigranten. Es gehe darum, diesen Menschen im Voraus zu signalisieren, dass sie keine Chance hätten.

Auch den früheren Streit zwischen Wien und Berlin in der Flüchtlingspolitik sprachen die Minister an. "Der Streit, den es gab, ist erledigt", sagte der CDU-Politiker. "Es gibt keine Meinungsverschiedenheiten mehr zwischen Deutschland und Österreich." Man habe nicht die Absicht, den alten Streit fortzuführen. "Wir wollen uns nicht weiter öffentlich kritisieren, sondern intern diskutieren und möglichst wenig Schlagzeilen erzeugen."

Auf die Frage, wann Italien überfordert sein könne, verglich de Maiziere die Einwohnerzahlen: Griechenland mit zehn Millionen Einwohnern habe 60.000 Flüchtlinge akzeptiert. Bei Italien mit 60 Millionen könne man ausrechnen, ab wann das Land Hilfe bräuchte. Das wäre etwa bei 350.000 Flüchtlingen, "und davon sind wir weit entfernt".

Der Antrittsbesuch des neuen österreichischen Innenministers bei seinem deutschen Amtskollegen fand nicht in Berlin, sondern in Potsdam statt, weil de Maiziere in die von Streiks begleiteten Tarifrunden eingebunden ist, die in Potsdam ausgehandelt werden. (APA, Reuters, 29.4.2016)