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Vučić kurz nach Ausrufung des Wahlergebnisses.

Foto: Reuters/MARKO DJURICA

Am vergangenen Sonntag gratulierte Außenminister Sebastian Kurz auf Twitter seinem "Freund" Aleksandar Vučić zum Wahlsieg, und zwar auf Serbisch und in kyrillischer Schrift. Der überzeugende Wahlsieg des starken Mannes Serbiens steht tatsächlich außer Frage, doch der Wahlprozess ist eine Woche nach den vorgezogenen Parlamentswahlen längst nicht beendet, und die serbische Opposition wirft dem "Freund" des österreichischen Außenministers Wahlbetrug vor.

Den Vorwurf der "Wahlfälschung" äußerte die Opposition noch in der Wahlnacht am 24. April. Man sprach vom "bulgarischen Zug" – wenn im Voraus ausgefüllte Wahlzettel massenhaft in Wahllokale gebracht werden – und anderen Unregelmäßigkeiten. Dabei ging es nicht um den überzeugenden Sieg von Vučić, der sich mit seiner Serbischer Fortschrittspartei (SNS) und sieben kleinen Partnern auf seiner Wahlliste mit über 48 Prozent die Mehrheit im Parlament sicherte, sondern darum, welche anderen Parteien ins Parlament einziehen.

Wahlkommission sorgte für Verwirrung

Für richtige Verwirrung sorgte danach die Wahlkommission. Zuerst teilte sie mit, dass sieben Parteien die Fünf-Prozent-Hürde überschritten hätten, um zwei Tage später bekanntzugeben, dass das national-konservative, prorussische Bündnis Demokratische Partei Serbiens (DSS) – Dveri knapp unter diesem Wert liege – laut serbischen Medien "um eine einzige Stimme".

Als der Vorsitzende der Wahlkommission die Ergebnisse der jüngsten Zählung vorlas, schrie der Anführer von Dveri, Boško Obradović: "Schämst du dich nicht!? Wagst du es, mit diesen Ergebnissen vors Volk zu gehen!?" Es kam auch zu Handgreiflichkeiten. Die Vertreter von Dveri warfen der Wahlkommission vor, "die Stimmen des Volkes zu stehlen".

Die Wahlkommission hatte zuvor die Wahlen in 15 Wahllokalen "mir nichts, dir nichts" annulliert, was die Opposition als "rechtwidrig" bezeichnete. Dveri-Vertreter gaben an, dass sie in ebendiesen Wahllokalen ein überdurchschnittliches Ergebnis erzielt hätten und warfen der Wahlkommission Wahlbetrug vor.

Machtmathematik

Auch der parlamentarische Status des Bündnisses SDS-LSV-LDP ist mit 5,02 Prozent nicht mehr sicher, weil es unter Umständen nur um Dutzende Stimmen geht, die die Partei über die Fünf-Prozent-Schwelle gebracht haben und Wahlen in 15 Wahllokalen wegen Unregelmäßigkeiten an diesem Samstag wiederholt werden müssen.

Bei dem ganzen Theater will die Opposition Machtmathematik des Regimes erkennen. Die SNS hat nun 131 von 250 Mandaten, ein Ergebnis, das wegen des Einzugs so vieler Parteien ins Parlament schwächer ist als bei vorgezogenen Parlamentswahlen vor zwei Jahren. Sollte eine Partei rausfliegen, hätte die SNS aufgrund des serbischen Wahlsystems 138 Mandate, wenn eine zweite rausfliegt, noch sieben Mandate mehr. Das würde Vučić mehr politischen Spielraum geben, sollten manche Partner auf seiner Wahlliste irgendeinmal bockig werden und seine Mehrheit infrage stellen.

"Motive für nachträgliche Wahlmanipulation"

Denn Serbien stehen schwierige Zeiten bevor: Wirtschaftsreformen, Massenentlassungen, Verschlechterung des ohnehin katastrophalen Lebensstandards. Vučić konnte noch einmal die Bürger Serbiens überzeugen, dass er derjenige ist, der Serbien aus der Misere herausziehen würde, doch er weiß, dass sich die soziale Lage in absehbarer Zeit nicht verbessern wird, dass seine Popularität nur nach unten gehen kann und dass so mancher bisher treue Koalitionspartner das sinkende Schiff verlassen und vorgezogene Wahlen auslösen könnte – zu einem Zeitpunkt, der Vučić dann nicht gelegen kommt. Die Gegner Vučićs wollen in dieser "strategischen Rechnung" die "Motive für nachträgliche Wahlmanipulation" sehen.

Die Opposition behauptet, die Wahlkommission würde deshalb auf Anweisung von Vučić die Wahlergebnisse "zurechtbiegen". Die SNS kontert, dass gerade manche Oppositionsparteien versucht hätten, die Wahlen zu fälschen. Kritiker des Regimes Vučić meinen wiederum, dass das wohl ein historischer Präzedenzfall wäre, dass eine schwache Opposition in der Lage gewesen wäre, Wahlen zu manipulieren.

Das alles weckt in Serbien bittere Erinnerungen an die 1990er-Jahre, als das Regime massiv Wahlen fälschte – Vučić war damals unter Slobodan Milošević Informationsminister –, was zu monatelangen Massendemonstration und letztendlich zum Fall des Regimes führte. Seit der demokratischen Wende im Jahr 2000 wurde in Serbien keine einzige Wahl infrage gestellt. Wenn nichts anderes, hieß es, seien demokratische Wahlen das Erbe der demokratischen Wende, auch wenn heute diejenigen an der Macht seien, die in den 90er-Jahren Serbien in den Krieg gestürzt und sich mit Gewalt an der Macht gehalten hätten. Nach der Wahl am 24. April liegt auch darüber ein tiefer Schatten. (Andrej Ivanji aus Belgrad, 29.4.2016)