Markus Hering und Dorothee Hartinger in "Die Wiedervereinigung der beiden Koreas".

Foto: Georg Soulek

Wien – Eine Frau im Frühlingsmantel (Petra Morz'e) blickt mit sanfter Entschlossenheit in den Scheinwerfer. Der helle Schein trügt. Das tut er öfter in Joel Pommerats Szenenfolge "Die Wiedervereinigung der beiden Koreas". Die sanfte Frau ist keine Radikale. Sie stellt bloß fest, dass in ihrer unendlich langen Ehe niemals auch nur der zarteste Anflug einer Liebesregung spürbar gewesen sein soll.

Damit ist die schlimmst mögliche Katastrophe gleich eingangs bestimmt und von der herrlichen Morz'e vorweggenommen. Im Wiener Akademietheater kann nun der heiter-komischste Abgesang auf die vielfältigen Katastrophen der Liebe beginnen. Denn nichts anderes ist Pommerats gar nicht postmoderner, sondern verstörend irrlichternder Reigen: ein lässiges Blättern in den Chroniken der Versehrung und Verwirrung. Ein bitter ernster Hauptspaß in 20 abgeschlossenen Szenen, von denen einige deutlich den Stempel von Ingmar Bergman, Arthur Schnitzler, Henrik Ibsen et cetera tragen.

"Korea" ist so etwas wie das Stück der Stunde – mit deutlich historischer Verzögerung, seitdem Gerhard Willert, der Linzer Schauspielintendant, so viel für die Aufnahme Pommerats im Sprachraum geleistet hat. Es weht das Aroma Botho Strauß' durch diese Skizzen, nur dass ihnen nichts Raunendes, Bedenkliches eignet, schon gar nichts Neunmalkluges oder tiefere Bedeutung bloß Vortäuschendes.

Die Bühne (Ausstattung: Florian Parbs) ist bis zur Brandmauer leer. Regisseur Peter Wittenberg hat hübsche Kondensate hergestellt. Ein Stück weit halten die Schauspieler zu ihren Minutenrollen Abstand. Eine Putzfrau (Dörte Lyssewski) im Arbeitskittel bemerkt nicht, dass im Hangar zu ihren Häupten der Ehegefährte von eigener Hand gerichtet hängt. Die Kolleginnen versuchen, die Schwadroneurin vor dem Anblick der Leiche zu bewahren. Blicke kreuzen einander, das Spiel erinnert noch öfter an diesem Abend an das Ineinandergreifen kammermusikalischer Stimmen. Lichtbalken strukturieren die Blackouts.

Einzelne Darsteller wachsen buchstäblich über sich hinaus: etwa Dirk Nocker, der als vierschrötiges Sensibilitätsbündel durch die Szenen braust, oder Markus Hering, der die Resignation Buster Keatons mit zäher Renitenz vereint. Unter den Damen möchte man Lyssewski und Dorothee Hartinger besonders hervorheben.

An diesem feinen Abend ist nichts, was die politische Weltlage erhellen hilft, oder was (zum Beispiel) die SPÖ in ihrem Selbstzerfleischungsprozess voranbringt. Er ist, obwohl in düsteren Farben gemalt, ein heiteres Achselzucken angesichts der Tatsache: Die Liebe lässt uns, als jeweils die Hälften irgendeines Koreas, schmerzlich unvereint (geschweige denn vereinigt). Sie macht aus Partnern Rollenspieler, aus Huren Heilige, aus Priestern Künstler des erotischen Multi-Tasking. Sie verhilft der Burg zu einem hübschen, weidlich bejubelten Triumph. Und jetzt dürfen ruhig auch wieder spröde, vergrübelte, zähe, tranige Stücke kommen. Zwecks Überforderung. (Ronald Pohl, 30.4.2016)