Eine noch vor wenigen Wochen für unmöglich gehaltene Absprache hat die politische Krise in Irland beendet. Am Wochenende sicherte die nationalliberale Partei Fianna Fáil (FF) der liberalkonservativen Partei Fine Gael (FG) die Duldung einer Minderheitsregierung unter dem bisherigen FG-Premier Enda Kenny zu. Der 65-Jährige kann sich aller Voraussicht nach zusätzlich auf die Unterstützung zweier starker Gruppen unabhängiger Abgeordneter stützen. Das Verhandlungsergebnis zwischen FG und FF kommt einer Revolution gleich: Die beiden Parteien waren seit dem Bürgerkrieg der 1920er-Jahre tief verfeindet.

Beim Urnengang Ende Februar hatte die bisher regierende große Koalition mehr als 40 Prozent der Wählerstimmen verloren. Während die eher städtisch geprägte FG mit 25,5 Prozent knapp stärkste Partei im neuen Unterhaus Dáil blieb, stürzte der kleinere Koalitionspartner Labour um zwei Drittel auf 6,6 Prozent ab. Hinter der vor allem auf dem Land verankerten FF (24 Prozent) unter ihrem Vorsitzenden Micheál Martin wurden unabhängige Kandidaten zur drittstärksten Kraft.

In die Zeit der Ratlosigkeit nach dem unklaren Ausgang fiel pikanterweise das Gedenken an den 100. Jahrestag des Osteraufstands 1916. Die vom britischen Kolonialherrn rasch besiegte Revolte markierte den Anfang irischer Unabhängigkeit. Ehe aber 1922 der Freistaat Irland entstehen konnte, lieferten sich Befürworter und Gegner des Friedensvertrags mit London einen kurzen, heftigen Bürgerkrieg. Aus den damaligen Gegnern ist FF hervorgegangen, die Befürworter vereinigten sich unter dem FG-Banner. Wie das neue Arrangement inhaltlich mit Leben gefüllt werden soll, blieb übers Wochenende unklar. Eine Abweichung vom harten Fiskalkurs ist kaum zu erwarten, schließlich steht die grüne Insel nach dem Beinahe-Bankrott von 2010 weiterhin unter genauer Beobachtung der Eurozonenpartner. Offenbar sollen aber die schlimmsten sozialen Härtefälle gemildert und die Kinderbetreuung gefördert werden.

Zwischen FG und FF besteht in den Leitlinien der Politik wenig Unterschied. Beide fürchten aber die Erstarkung der autoritär geführten Republikanerpartei Sinn Féin. Deren Vorsitzender, der Belfaster Ex-Terrorist Gerry Adams, dürfte nun die Rolle des Oppositionsführers beanspruchen. (Sebastian Borger, 2.5.2016)