Kazim: "Ich habe Sorge, dass man anfängt, dem Leser nach dem Mund zu schreiben. Ich halte auch nichts von dem derzeit beliebten Ansatz, wir müssten den Dialog suchen und mit den Lesern auf Augenhöhe kommunizieren. Wir werden teilweise auf so niedrigem Niveau beschimpft, da will ich keine Augenhöhe."

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STANDARD: Sie mussten die Türkei verlassen, haben keine Akkreditierung mehr bekommen. Wurde Ihnen jemals der Grund genannt?

Kazim: Offiziell heißt es immer noch, meine Akkreditierung werde geprüft. Mir wurde immer am Telefon gesagt, dass das mit einem Wechsel an der Spitze des Presseamts zu tun habe. Deswegen würde das so lange dauern. Ich halte das für einen vorgeschobenen Grund. Es haben viele deutsche Journalisten keine Akkreditierung bekommen. Und mir war klar, dass ich die Akkreditierung als einer der Letzten bekommen würde. In Wahrheit hat das damit zu tun, dass einzelnen Leuten in der Regierung nicht gefällt, was ich schreibe.

STANDARD: Begonnen haben diese Probleme nach Ihren Berichten vom Bergwerkunglück in Soma 2014.

Kazim: Genau. Ich hatte 2014 darüber geschrieben und einen Überlebenden mit den Worten zitiert: "Scher dich zum Teufel, Erdogan!" Dieses Zitat wurde mir in den Mund gelegt. Zunächst von AKP-Trollen im Internet, dann griffen es auch die regierungsnahen Zeitungen auf und schrieben, dass ich der Journalist sei, der Erdogan beleidigt habe. Danach berichteten regierungskritische Zeitungen darüber mit dem Duktus: 'Endlich kritisiert jemand Erdogan!‘ Damit war die Behauptung, ich hätte das gesagt, kaum mehr aus der Welt zu kriegen. Die Drohungen nahmen zu, tausende davon kamen über Twitter, Facebook, E-Mail. Die Leute erkannten mich sogar auf der Straße.

STANDARD: Sie fühlten sich bedroht?

Kazim: Ja, aber es war vor allem eine virtuelle Bedrohung, da die meisten Drohungen ja über das Internet kamen. Meine Frau und ich entschieden deshalb, in der Türkei zu bleiben. Aber meine Redaktion war dann der Meinung, dass es zu gefährlich sei. Es reiche ja, wenn einer davon es ernst meint. Ich wurde also gebeten, das Land zu verlassen. Letztlich hatten die Kollegen recht.

STANDARD: Sie waren dann für kurze Zeit in Deutschland.

Kazim. Ja. In der Zeit war auch zufällig Erdogan in Köln. Dort hat er mich zweimal in seiner Rede erwähnt. Ich war bei der Veranstaltung, wurde dort ausgebuht. Von 15.000 Leuten. In dem Moment wurde mir klar, warum der Veranstalter UETD (Union Europäisch-Türkischer Demokraten, Anm.) darauf beharrt hatte, dass ich Bodyguards bekomme. Die Aggression gegen mich war massiv spürbar.

STANDARD: Was hätte Ihnen passieren können, wenn Sie jetzt nicht die Türkei verlassen hätten? Eine Anklage wegen "Präsidentenbeleidigung"? Oder ein Prozess wegen Unterstützung einer terroristischen Organisation, wie es Can Dündar, dem Chefredakteur der Zeitung "Cumhuriyet", noch bevorsteht?

Kazim: Das wurde mir von mir nahestehenden Personen, auch von Staatsanwälten, so gesagt. Auch von deutscher Seite wurde ich gewarnt, dass das alles möglich sei. Ich wurde gewarnt, dass ich vorsichtig sein soll. Anklagen wegen dieser zwei Punkte sind ja die klassischen Vorwürfe gegen Journalisten. Das stand im Raum.

Wenn gegen mich eine Anklage gekommen wäre, wäre ich mit einer Ausreisesperre belegt worden. Dann hätte ich das Land nicht mehr verlassen können, wäre in der Türkei gefangen gewesen und hätte auch als Angeklagter nicht mehr schreiben können. Wir haben also entschieden, es nicht so weit kommen zu lassen. Ein geschickter Schachzug der Regierung in der Türkei. Auf diese Weise hat sie es geschafft, mich aus dem Land zu drängen. Und offiziell kann sie sagen, sie prüfe noch immer.

STANDARD: Führen diese Einschüchterungsversuche gegenüber Journalisten auch zu einer Art Selbstzensur?

Kazim: Das hängt natürlich immer von den einzelnen Personen ab. Ich kenne Kollegen, die sehr vorsichtig geworden sind. Auch ich habe immer genau überlegt, was ich schreibe und wie ich das formuliere. Aber das mit dem Zitat im Titel würde ich wieder machen. Das muss einfach möglich sein. Es geht nicht nur um das Schreiben, sondern auch um das Recherchieren. Kollegen von mir wurden festgehalten, nur weil sie mit syrischen Flüchtlingen gesprochen haben. Es wird auch nicht gerne gesehen, wenn Journalisten in von Kurden besiedelte Gebiete reisen. Die Regierung will nicht, dass man sieht, auf welche Art und Weise dort vorgegangen wird. Weil es dort nicht nur um einen Kampf gegen Terrorismus, sondern auch um Grausamkeiten gegen die Zivilbevölkerung geht. Das ist nicht verhältnismäßig. Die Journalisten dort einzuschüchtern hat sich in den vergangenen Monaten massiv verstärkt. Ich kenne zwar keinen Kollegen, der deshalb sagt, dass er nicht mehr dorthin fährt, aber es ist eine gewisse Sorge da. Ich halte es auch für problematisch, wenn die Politik dazu schweigt.

STANDARD: Sind Sie zufrieden, wie die deutsche Politik in Ihrem Fall gehandelt hat?

Kazim: Kanzlerin Merkel hat meinen Fall zweimal angesprochen, die deutsche Botschaft in Ankara war sehr engagiert und hat sich im Hintergrund bemüht. Aber sie haben sich nicht öffentlich dazu geäußert mit dem Argument, dass das ein Gesichtsverlust für die Türken wäre und letztlich nicht zum Ziel meiner Akkreditierung führen würde. Diese Argumentation konnte ich nachvollziehen. Wir sehen daran aber auch, dass die Türkei zunehmend die Grenze zur Presseunfreiheit verschiebt. Stichwort: Umgang mit Satire, Einreiseverbot für Journalisten usw.

STANDARD: Die Politik soll sich also lauter zu Wort melden?

Kazim: Ja, man würde immerhin uns Journalisten damit den Rücken stärken. Es muss jetzt laut und deutlich gesagt werden, dass es so nicht geht.

STANDARD: In der Causa Böhmermann hat Merkel es immerhin schon als einen Fehler bezeichnet, dass sie bereits recht früh Böhmermanns Schmähgedicht als "bewusst verletzend" bezeichnet hatte.

Kazim: Ja. Sie meinte auch, dass ihr Urteil damals die Richtung in dem Fall vorgegeben habe. Das sehe ich genauso. Das war ein Fehler.

STANDARD: Wie beurteilen Sie, dass Böhmermanns Strafverfolgung zugelassen wird?

Kazim: Ich halte das für falsch. Es ist absurd zu sagen, dass wir den Paragrafen 103 für unsinnig halten, aber das Verfahren zulassen. Es wäre ein wichtiges politisches Signal gewesen, die offizielle Strafverfolgung nach diesem Paragrafen nicht zuzulassen. Ich hätte es richtig gefunden, zu sagen: Erdogan steht es frei, persönliche Strafanzeige zu stellen.

STANDARD: Vor der Türkei waren Sie als Korrespondent in Pakistan. Wie ist die Lage der Pressefreiheit dort?

Kazim: Als Auslandskorrespondent muss man in jedem Land gucken, wo die roten Linien sind. In Pakistan sind Themen wie Religion und die Verbindung zwischen religiösen Extremisten und dem Militär heikel. Dafür kann man über die Regierung schreiben, was man will. Das ist in der Türkei anders. Bei Religion sollte man auch vorsichtig sein, aber das ist nicht ganz so heikel. Viel problematischer ist es, wenn man über die Regierung oder Korruptionsvorwürfe schreibt. Mein subjektives Gefühl als Journalist, der dort gelebt hat: Ich fand es in der Türkei im Vergleich zu Pakistan sehr viel unfreier. Weil die Bedrohung unmittelbarer ist. Man bekommt sofort hunderte Mails, auch weil es viele deutschsprechende Türken gibt. Es ist einfach anstrengender.

STANDARD: Sie sind seit kurzem in Wien – geht Ihnen Istanbul ab?

Kazim: Die Stadt an sich fehlt mir. Ich bin zum ersten Mal in meinem Leben aus einer Stadt herausgerissen worden. Ich bin nicht freiwillig gegangen. Ich musste gehen, weil die Regierung mir die Akkreditierung verweigert hat. Das macht den Abschied natürlich schwerer.

STANDARD: Wann werden Sie wieder hinfahren?

Kazim: Mir wird von verschiedenen Seiten derzeit davon abgeraten. An eine Anklage glaube ich nicht, aber es könnte passieren, dass ich nicht hineingelassen werde. Im Moment würde ich mir diese Erfahrung gerne ersparen.

STANDARD: Ihr erster Eindruck von Wien?

Kazim: Wien war mein erster Wunsch. Nach Pakistan und Istanbul hatten meine Frau und ich die Sehnsucht nach einem ruhigen, stabilen Ort ohne Bomben. Ich werde aber weiter in Krisengebiete reisen, als Basis brauche ich aber derzeit eine stabile Stadt. Wien als Stadt zum Leben funktioniert hervorragend. Umso mehr wundere ich mich, dass hier so viele – auch aus Protest – die FPÖ wählen. Ich bin aber derzeit dabei, zu lernen und zu verstehen, warum.

STANDARD: Im Ranking von Reporter ohne Grenzen ist Deutschland – auch wegen Übergriffen auf Journalisten durch Pegida-Aktivisten – um vier Plätze zurückgefallen.

Kazim: Für Journalisten ist es auch in Deutschland derzeit eine schwierige Zeit, Stichwort Lügenpresse. Ich habe Sorge, dass man anfängt, dem Leser nach dem Mund zu schreiben. Ich halte auch nichts von dem derzeit beliebten Ansatz, wir müssten den Dialog suchen und mit den Lesern auf Augenhöhe kommunizieren. Wir werden teilweise auf so niedrigem Niveau beschimpft, da will ich keine Augenhöhe. Aber natürlich muss man die Menschen und ihre Sorgen ernst nehmen. Man muss aber auch viel Wert darauf legen, darauf zu pochen, wie wichtig journalistische Arbeit ist, dass sie Geld kostet und es auch Anstrengung seitens der Leser erfordert, Dinge zu durchdringen. Es gibt eben kein Schwarz-Weiß. (Astrid Ebenführer, 3.5.2016)