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Die Disney-Produktion "Pocahontas" kam 1995 in die Kinos. Sie ist ein Musterbeispiel dafür, wie Ungleichheit im Film trivialisiert und Kolonialisierung durch eine Romanze gerechtfertigt wird.

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Wien – Schon als Mädchen verspürte Beatrice Frasl eine große Abneigung gegenüber traditionellen Prinzessinnenfiguren in Disney-Filmen. Die jungen und schönen Prinzessinnen waren die Guten, die in komatösem Zustand darauf warteten, von ihrem Prinzen wachgeküsst zu werden. Und das Böse wurde immer dargestellt durch alte Hexen, deren einziger Wunsch es war, der jungen Frau diese heteroromantische Erfüllung zu vereiteln.

Viel interessanter, zuweilen auch ermächtigend fand Frasl die Charaktere in Disneys neueren Animationsfilmen, wo Prinzessinnen gegen ihre Rolle rebellierten – und am Ende trotzdem heirateten. Im Laufe ihres Studiums der Anglistik und Amerikanistik an der Uni Wien kam Beatrice Frasl mit feministischer Kritik an Disney-Produktionen in Kontakt, da begann ihr akademisches Interesse an diesen Figuren.

Konstruktionen von Heteronormativität

"Who Is the Monster and Who Is the Man?" heißt ihr Dissertationsprojekt, in dem sie Konstruktionen von Heteronormativität und Andersheit sowie Gender und Herkunft in Zeichentrickfilmen der Walt-Disney-Studios von 1937 bis 2013 analysiert. Ihre Untersuchung ist in drei Phasen unterteilt: die Zeitspanne von 1937 bis 1967, in der Walt Disney noch am Leben und Produzent war (1937-1967), die Epoche von 1989 bis 1999, die als Disney-Renaissance bezeichnet wird, in der die Firma durch die Rückkehr des Disney-Musicals wieder an den Erfolg vergangener Zeiten anknüpfte, und die Phase ab 2000, in der mit der Zusammenarbeit mit Pixar Animation Studios der Fokus auf Computeranimationen gelegt wurde.

Als Beispiel für ein heteroromantisches Narrativ, das andere Ungleichheitskategorien trivialisiert, nennt Frasl den Zeichentrickfilm Pocahontas, erschienen im Jahr 1995. Der Plot ist simpel und lässt sich auf die Liebesgeschichte der Indigenen Pocahontas mit dem Engländer John Smith reduzieren. "In Pocahontas ist das ganze Streben und Begehren darauf ausgerichtet, einem Mann zu begegnen – ihr Schicksal ist es, John Smith zu treffen", sagt Frasl. Damit wird nicht nur die gewaltsame Geschichte der Kolonialisierung ausgeblendet, sondern: "Durch den Fokus auf die Heteroromanze wird Kolonialismus gerechtfertigt."

Patriarchale Ordnung

Ähnliche Muster findet man auch bei anderen Thematiken, etwa in Bezug auf monarchische Herrschaft oder Geschlechterverhältnisse. Aufschlussreich sind dafür die Darstellungen in Streifen der 1990er-Jahre. Ausgangspunkt ist oft der Vater, der symbolisch für die patriarchale Ordnung steht. Seine Rolle besteht darin, eine Ehe zu arrangieren, wogegen sich die Tochter zur Wehr setzt und sich aus eigenem Antrieb einen Prinzen sucht.

Diese Charakterisierung geht konform mit den postfeministischen Darstellungen dieser Phase: "Typisch für diese Zeit sind Darstellungen einer Gesellschaft, in der Feminismus angeblich obsolet ist und die Frauen sich aus eigenen Stücken entscheiden, klassischen Rollenbildern zu folgen", sagt Frasl, die derzeit als Junior Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) forscht.

Subversive Räume eröffnen hingegen die Darstellungen der Bösewichte. Frasl verweist auf die lange Tradition im Hollywood-Kino, das Monströse mit queeren Bedeutungen zu überschreiben. Bei männlichen Figuren werden oft schwule Stereotype verwendet, um Monstrosität darzustellen, das hat der US-amerikanische Filmwissenschafter Harry Benshoff in seinen Arbeiten über das Horrorkino dargelegt. Die antagonistischen Gestalten, wie etwa der tückische Gouverneur Ratcliffe in Pocahontas, der böse Zauberer Jafar in Aladdin oder der schurkische Löwe Scar in Lion King, sind klassische Beispiele für queere Charaktere in Disney-Filmen.

Drag-Performance

Feministisch lesbar sind auch die Darstellungen der bösen Hexen, da sie keinem klassischen Weiblichkeitsbild entsprechen. Die Meereshexe Ursula aus The Little Mermaid, die einer Dragqueen nachempfunden ist, veranschaulicht das. "Geschlecht wird hier auf eine sehr performative Art und Weise verhandelt", konstatiert Frasl. Der von Ursula dargebotene Song Poor Unfortunate Souls, in dem sie Arielle erklärt, wie eine gute Frau zu sein hat, kann auch als Drag-Performance gelesen werden.

Komplexer sind hingegen die Produktionen ab 2000, die keinem klaren Muster mehr folgen. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse. Kennzeichnend ist auch eine ironische Bezugnahme auf frühere Phasen. Und: Die Idee von "true love", die im Prinzessinnenfilm immer wieder auftaucht, wird aufgebrochen. Jüngere Disney-Produktionen wurden von der Wissenschaft bis jetzt noch vernachlässigt. Das will Beatrice Frasl nun ändern. (Christine Tragler, 5.5.2016)