Premier Davutoğlu und Präsident Erdoğan. Ersterer wird sein Amt wohl nicht mehr lange ausüben.

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Ahmet Davutoğlu traf Präsident Erdoğan am Mittwoch.

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Ein Bild aus dem August 2014 – da gingen die beiden noch im Gleichschritt.

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Ankara/Athen – Der Herrscher und der Lehrer werden sie genannt. Tayyip Erdoğan ist der "reîs", Ahmet Davutoğlu der "hoca", weil er auch Professor ist und Bücher schrieb. "Koch" und "Kellner" wäre weniger schmeichelhaft. Aber Donnerstagnachmittag, an dem einem Bienenhaus gleich emsigen Sitz der türkischen Regierungspartei AKP in Ankara, gibt der Kellner seinen Hinauswurf selbst bekannt. Ahmet Davutoğlu, der türkische Regierungschef, ist nach nicht ganz zwei Jahren im Amt von Staatspräsident Erdoğan abserviert worden.

"Es hieß, ich wollte nicht ein Premier sein, der Treuhänder des Präsidenten ist. Ich habe mich zur Treuhandschaft verpflichtet. Aber ich habe auch dem Amt des Regierungschefs Geltung gegeben", sagt Davutoğlu im übervollen Presseraum.

Die Kameras sind auf ihn gerichtet, die Sender übertragen live. Der 57-jährige Professor spricht mit belegter Stimme, verhaspelt sich immer wieder. Die Rivalität zwischen dem Staatspräsidenten, der das Regierungssystem der Türkei auf seine eigene Person zuschneidet, und dem Premier, der Premier sein wollte, ist zu groß geworden.

"Persönliche Entscheidung"

Nach tagelangen Spekulationen über einen Rücktritt gibt Davutoğlu einen Termin für einen Sonderparteitag der konservativ-islamischen AKP bekannt. Am 22. Mai, früher als bisher kolportiert, soll eine neue Führung bestimmt werden. Er werde nicht mehr Kandidat sein, sagt der Premier und Parteichef. Es ist die Formel, auf die sich Erdoğan und Davutoğlu geeinigt haben, um den Augenschein eines Rücktritts zu vermeiden.

"Ich wünsche ihm alles Gute", sagt der Präsident, "es war die persönliche Entscheidung des Regierungschefs." Davutoğlu hat zu dem Zeitpunkt noch gar nicht mit seiner Rede begonnen.

"Loyalität bis ans Ende"

Die Einheit der Partei sei das Wichtigste, "meine Loyalität gegenüber dem Präsidenten wird bis ans Ende dauern", beteuert der türkische Premier. In der ersten Reihe sitzen die Granden der Partei mit versteinerter Miene. Jeder weiß, was gespielt wird. Davutoğlu selbst nennt den Auslöser der Krise – wenn auch nur in vagen Worten -, die zu seinem Abgang führt: die Entscheidung im obersten Parteigremium am vergangenen Freitag, dem Parteichef das angestammte Recht zu nehmen, Führungspositionen der AKP auf lokaler Ebene zu besetzen. Der Rückzug sei nicht "meine Wahl, sondern eine Notwendigkeit", erklärt Davutoğlu.

Abdülkader Selvi, ein Kolumnist, der vor nicht allzu langer Zeit noch für das islamische BoulevardblatYeni Safak schrieb und mittlerweile beim regierungskritischen Massenblatt Hürriyet untergekommen ist, kolportierte aus AKP-Kreisen, was wirklich geschehen sein soll. Davutoğlu habe sich bei Erdoğan beklagt, dass die Parteifreunde Unterschriften für einen Parteitag sammelten mit dem Ziel, ihn, Davutoğlu, auszutauschen.

"Führer" Erdoğan

"Natürlich, das ist normal", soll Erdoğan geantwortet haben, "schließlich bin ich ihr Führer." Erdoğan hatte seinen langjährigen Außenminister und Berater Davutoğlu im August 2014, nach dem Wechsel ins Präsidentenamt, an die Spitze von Regierung und Partei gesetzt.

Bald schon wurden aber Rivalitäten bei wichtigen Personalentscheidungen sichtbar. Davutoğlu überredete Geheimdienstchef Hakan Fidan, einen Erdoğan-Vertrauten, zur Kandidatur bei den regulären Parlamentswahlen im Juni 2015 und versprach ihm zweifellos ein wichtiges Ministeramt. Erdoğan pfiff Fidan zurück.

Davutoğlu versuchte auch vergeblich, den langjährigen Minister und Erdoğan-Vertrauten Binali Yildirim zu verhindern. Der Präsident platzierte ihn in das neue Kabinett Davutoğlu nach den Wahlen vom November 2015. Yildirim gilt nun als einer der möglichen Nachfolger von Davutoğlu. Auch Erdoğans Schwiegersohn, der junge Energieminister Berat Albayrak, wird genannt.

Sorgen in der EU

"Türkischer Premier Davutoğlu muss Platz machen. Bedeutet nicht viel Gutes für die EU-Türkei-Beziehung", twitterte am Donnerstag – nur Minuten nach dem Ende der Parteisitzung in Ankara – die Türkeiberichterstatterin im Europaparlament, die niederländische Sozialdemokratin Kati Piri. Eine neue Regierung könne Auswirkungen auf das Flüchtlingsabkommen haben, sagte Piri zuvor in einem Interview. (Markus Bernath, 5.5.2016)