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Foto: AP/Jewel Samad

Es muss schon viel passieren, bevor Charles Koch Kritik an den Republikanern übt. Jener Charles Koch, der mit seinem Bruder David ein milliardenschweres Industriekonglomerat besitzt – Ölraffinerien, Papierfabriken, Chemiewerke; jener Charles Koch, der einst der erzkonservativen John Birch Society angehörte und 2008 nach der Wahl Barack Obamas orakelte, damit drohe der größte Verlust an Freiheit und Wohlstand seit den 1930er-Jahren.

Dieser Mäzen der Konservativen hat sich neulich sehr weit aus dem Fenster gelehnt: Bei ABC News befand er, Bill Clinton sei in vielfacher Hinsicht ein besserer Präsident gewesen als George W. Bush. Und auf die Frage, ob sich auch Hillary Clinton besser fürs Oval Office eigne als der republikanische Kandidat, sagte er lapidar: "Ja, das ist möglich."

Damit ist sie schon hinreichend skizziert, die Seelenlage der "Grand Old Party". Mancher verzweifelte Stratege rät bereits, die Wahl 2016 abzuschreiben und sich schon jetzt auf 2020 zu konzentrieren, um eine Präsidentin Clinton nach vier Amtsjahren mit frischem, populärerem Personal herauszufordern. Manche Wortmeldung klingt so sarkastisch, ja galgenhumorig, als wäre sie eigens für die Satireshow "Saturday Night Live" geschrieben.

Schiffsticket für die Titanic

Sich als Juniorpartner Donald Trumps um die Vizepräsidentschaft zu bewerben, das wäre so, als wollte man ein Schiffsticket für die Titanic buchen, spottete Lindsey Graham, der altgediente Senator aus South Carolina.

Trumps härtester parteiinterner Rivale wiederum, der ebenso debattenstarke wie dogmatische Texaner Ted Cruz, war letztlich keine Alternative, auf die sich jene, die einen Durchmarsch des Baulöwen noch zu verhindern gedachten, einigen konnten. Keiner hat die Hemmschwelle markanter geschildert als John Boehner, der frühere Speaker des Repräsentantenhauses, der von Cruz als dem "leibhaftigen Teufel" sprach und hinzufügte, er habe noch nie in seinem Leben mit einem "erbärmlicheren Hurensohn" zu tun gehabt.

Eine Kandidatur des Pragmatikers John Kasich, der in der Mitte punkten könnte, war der Basis kaum zu vermitteln – dazu fehlten dem Gouverneur aus Ohio schlicht die nötigen Vorwahlerfolge. Also stieg auch er aus.

Die Wurzeln reichen tief

Nun Trump. Mit ihm riskieren die Republikaner eine krachende Niederlage gegen Hillary Clinton, auch wenn die Ex-Außenministerin keine Begeisterungsstürme entfacht und 56 Prozent der Amerikaner bei Umfragen sagen, sie hätten kein echtes Vertrauen in sie. Nur wäre es falsch, die Krise der Republikaner auf eine – gleichsam vorübergehende – Personalkrise zu reduzieren. Das Dilemma hat tiefere Wurzeln.

Bei fünf der vergangenen sechs Abstimmungen fürs Weiße Haus ist es der Partei Abraham Lincolns nicht gelungen, das "popular vote" zu gewinnen, die Mehrheit der Wählerstimmen – darin eingeschlossen auch das Drama des Jahres 2000, als es in Florida auf der Kippe stand und sich George W. Bush erst nach wochenlangem juristischem Gezerre gegen Al Gore durchsetzte. Schon damals war der Trend skizziert.

GOP auf Verliererkurs

Falls nicht noch ein Wunder geschieht (oder ein Terroranschlag akute Verunsicherung sät und somit Trump in die Hände spielt), wird die GOP am 8. November das dritte Präsidentschaftsvotum in Folge verlieren. Das gab es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr – und der Hauptgrund ist, dass sie nicht Schritt hält mit dem gesellschaftlichen Wandel.

Auf die ethnischen Minderheiten, die irgendwann zwischen 2040 und 2050 zusammengenommen die Bevölkerungsmehrheit bilden dürften – also auf Hispanics und Afroamerikaner, aber auch auf Asiaten –, wirkt die Marke "Grand Old Party" vorgestrig. Das betrifft ihre Botschaft, aber auch das Milieu weißer, älterer Männer, das sie bis heute prägt. Die Tea-Party-Rebellion, deren Schwung den Republikanern half, seit sechs Jahren sämtliche Kongresswahlen für sich zu entscheiden, zehrte auch davon, dass jüngere Amerikaner bei den Midterm-Elections eher zu Hause bleiben – anders als die älteren, deren Stimmen somit besonders stark ins Gewicht fallen. Bei Präsidentenwahlen ist das anders. Und 2012 lag Obama unter den Jungen noch klarer vorn, als es 2008 der Fall gewesen war.

Nicht mehr zeitgemäß

Eugene Joseph Dionne, einer der profiliertesten Kolumnisten der USA, hat das Phänomen der Krise im Buch "Why The Right Went Wrong" in allen Facetten unter die Lupe genommen. Die Tea Party, doziert er, sei in erster Linie eine Seniorenbewegung; eine Bewegung von Menschen, denen der kulturelle Wandel missfalle – von Homosexuellenrechten bis hin zum ersten Schwarzen im Weißen Haus – und die das Gefühl hätten, ihnen werde ihr Land weggenommen. Jedenfalls das Land, wie es ihrem verklärten Idealbild der "guten alten" 1950er-Jahre entspreche.

In Trump hat die Revolte ihren neuen Helden gefunden. Nur eben einen Helden, mit dem ein großer Teil der real existierenden Vereinigten Staaten über Kreuz liegt. (Frank Herrmann aus Washington, 5.5.2016)