Wien – Mit einem ungewöhnlichen und diffizilen Fall muss sich Richterin Andrea Wolfrum beschäftigen. Fethi G. soll seine, je nach rechtlicher Sichtweise, Ex-Frau oder Frau mit dem Tod von ihr und den gemeinsamen Kindern bedroht haben. Der in Untersuchungshaft sitzende 41-Jährige versteht die Vorwürfe nicht einmal ansatzweise und leugnet vehement.

Die Situation ist nicht ganz einfach. Das Ehepaar kam vor 27 Jahren nach Österreich, im Jahr 2011 ließ man sich hier scheiden. Allerdings: Nach internationalem Recht sind die türkischen Staatsbürger in ihrer Heimat noch immer verheiratet, da das dortige Standesamt die Trennung bisher nicht bestätigt hat.

Seit drei Monaten Probleme

Seit fünf Jahren haben die beiden getrennte Wohnungen, aber die gemeinsame Obsorge der gemeinsamen Kinder. "Bis vor zwei oder drei Monaten gab es keine Probleme, wir haben uns getroffen und sind essen gegangen", erzählt der Angeklagte.

Das Verfahren wirft Fragen auf mehreren Ebenen auf. Etwa, ob man einer möglicherweise bedrohten Frau trotz unklarer Sachlage glauben soll, um möglicherweise Schlimmeres zu verhindern. Oder die Frage, wie Behörden mit Nicht-Deutschsprechenden umgehen. Und ob vielleicht diffuse Vorstellungen, wie Beziehungen in anderen Kulturkreisen laufen, eine Rolle spielen.

Verteidiger Nikolaus Rast verweist im Laufe der Verhandlung jedenfalls auf Merkwürdigkeiten. "Schon im März hat es angeblich so eine Drohung gegeben, damals wurde das Verfahren von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Und vier Wochen später kommt wegen der neuen Geschichte mein Mandant in U-Haft – nur da die Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie behauptet, er sei gefährlich!"

Vorstrafe wegen ausgebliebener Alimente

G., der eine Vorstrafe wegen nicht gezahlter Alimente hat, wirkt tatsächlich nicht wie der klassische Macho, die man durchaus im Gerichtssaal erleben kann. Die Scheidung in Österreich habe er akzeptiert, beteuert er. "Und dass sich Ihre Ex-Frau auch nach türkischem Recht scheiden lassen wollte, war für Sie auch in Ordnung?", fragt Wolfrum. "Damit hätte ich kein Problem gehabt, es ging nur darum, dass ich ein Feld, das bei der Hochzeit auf sie überschrieben worden war, wieder zurückhaben wollte, daher war ich gegen ein einvernehmliches Vorgehen."

Warum eine Beamtin des Amtes für Jugend und Familie in ihrem Bericht geschrieben habe, er betrachte seine Frau noch immer als sein Eigentum, weiß er nicht. "Wir haben bei dem Termin nur über die Kinder gesprochen", beteuert er.

Er weiß auch nicht, warum am 11. März über ihn auf Antrag der Frau ein Betretungsverbot verhängt wurde, das anschließend in eine einstweilige Verfügung umgewandelt wurde. "Es gab keinen Vorfall." – "Haben Sie eine Waffe?", will die Richterin wissen. "Nein, nur beim Militärdienst." – "Haben Sie ein Alkoholproblem?" – "Nein, überhaupt nicht." – "Haben Sie Ihrer Frau schon früher mit Mord und Selbstmord gedroht?" – "Nein", muss G. kurz verwundert lachen. Die Vorhalte geistern im Akt herum und stammen von der Frau.

Jüngerer Sohn hatte Angst

Angeklagt ist ein Vorfall vom 4. April. "Mein älterer Sohn hat mich angerufen und gebeten, ich soll den Rucksack des Jüngeren vorbeibringen", erzählt der Angeklagte. "Als ich dort war, wollte der Jüngere aber nicht herunterkommen, angeblich, weil er Angst vor mir hat."

Er habe den Grund wissen wollen und seine Frau angerufen. "Die war beim Merkur und wollte dort nicht reden. Ich habe auf einer Bank auf sie gewartet. Als sie gekommen ist, hat sie gesagt, er fürchte sich nicht vor mir, sondern vor dem Hund des Nachbarn." Auch die Scheidung in der Türkei sei Thema gewesen, er sei bei seinem Standpunkt geblieben. Anschließend sei er heimgefahren, Drohungen habe es nicht gegeben.

Das 41-jährige mutmaßliche Opfer erzählt naturgemäß etwas ganz anderes. "Ich wollte schon 2012 meinen Mädchennamen wieder annehmen, damals hat er mich schon mit dem Umbringen bedroht." Damals habe sie das nicht angezeigt. "Kurz zuvor ist eine Freundin unter ähnlichen Umständen gestorben, ich hatte furchtbare Angst und wollte nicht, dass die Kinder alleine zurückbleiben."

14-jähriger Sohn als Dolmetscher bei Polizei

Etwas unklar bleibt, warum sie nun, da der jüngere Sohn sieben Jahre alt ist, diese Angst nicht mehr hat. Überraschend ist, dass sie auch andere Dinge, die sie nun behauptet, nicht im Polizeiprotokoll befinden. "Damals hat mein 14-jähriger Sohn als Dolmetscher fungiert, ich weiß nicht, was er übersetzt hat."

Den Verteidiger macht das aus mehreren Gründen ziemlich fassungslos. Erstens, dass die Polizei einen 14-jährigen, zwischen den Fronten Stehenden, als Übersetzer akzeptiert hat. Und zweitens, dass ihm die Mutter nun selektive Übersetzung vorwirft.

Ein Übersetzungsproblem gibt es auch beim angeklagten Vorfall. "Ich war beim Merkur und habe gesehen, dass er vor dem Geschäft wartete", erzählt die Arbeiterin. "Ich habe mich gefürchtet und die Kassiererin um Hilfe gebeten, die sagte aber, es sei kurz vor Geschäftsschluss und ich müsse gehen." Das habe sie gemacht, draußen sei dann die Drohung gefallen.

Unklarheit in Schreiben an Polizei

In einem Schreiben der Interventionsstelle an die Polizei findet sich dagegen, sie habe einen Security-Mitarbeiter um Hilfe gebeten. "Wie kommt die dazu? Das ist ja was komplett anderes?", stellt Wolfrum in den Raum. Die im Saal anwesende Betreuerin sagt, das sei ein Missverständnis gewesen, Kassiererin und Security seien ähnlich. Allerdings – die Betreuerin spricht selbst türkisch. "Frau G. war damals auch sehr aufgeregt", sagt sie noch.

Für die (Ex-)Frau ist das Motiv für die Drohung klar. "Es ging ihm die ganze Zeit um den Famiiennamen. Er hat geglaubt, dass ich, solange ich seinen Namen habe, mit ihm verheiratet bin." Was in diesem Fall, wenn eine in einem anderen Staat geschlossene Ehe nur in Österreich geschieden ist, übrigens stimmt.

"Ich wollte mir aber ein neues Leben aufbauen mit einem neuen Namen." – "Gibt es einen neuen Mann? Ich verstehe das Namensproblem nicht ganz", bohrt Wolfrum nach. "Ich habe einen Bekannten, aber das ist nicht das Thema", bescheidet ihr die Zeugin.

Keine Aufklärung durch Richter

Auch Verteidiger Rast hakt hart, aber nicht unberechtigt nach. "Hat Ihnen die Richterin oder der Richter bei der Scheidung in Österreich nicht gesagt, dass Sie problem- und kostenlos wieder Ihren Mädchennamen annehmen können? Dazu ist sie nämlich verpflichtet." – "Nein, das passierte nicht."

Den Rechtsvertreter macht noch etwas anderes stutzig: "Sie haben bei der Polizei auch noch gesagt, dass die österreichischen Papiere in der Türkei von der Behörde nur einfach beglaubigt werden müssen. Das ist doch total einfach, da brauchen Sie Ihren Ex-Mann ja nicht dazu?" – "Es hat geheißen, es wird billiger, wenn es einvernehmlich ist", lautet die Antwort.

"Ja aber warum setzen Sie sich dem Risiko aus, wenn Ihre Freundin wegen so was gestorben ist, und reden angeblich immer wieder mit ihm darüber?" – "Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Er hätte es ohnehin erfahren, ich wollte es nicht hinter seinem Rücken machen."

Scheidungsantrag schon im Alleingang gestellt

Schließlich sagt sie aber, dass sie den Antrag im Alleingang bereits Anfang März, vor der ersten angeblichen Drohung, gestellt habe und er am 18. Mai rechtskräftig wird. "Bei der Polizei haben Sie Ende März noch gesagt, Sie werden ihn stellen", hält Rast der Frau vor. "Ich war erst am 27. beim Anwalt", widerspricht sie sich.

Eigentlich wollte Wolfrum die Mitarbeiterin vom Amt für Jugend und Familie als Zeugin hören. "Sie sagte aber, heute ist ihr dienstfreier Wochentag und sie kann nicht", verkündet die Richterin. "DAS ist der Grund, warum sie nicht kann? Un-fass-bar", echauffiert sich Rast. "Sie ist auch auf Urlaub", stellt Wolfrum klar, ehe sie vertagt.

Den Enthaftungsantrag lehnt sie ab. "Die Zeugin macht zwar einen, wie soll ich sagen, differenzierten Eindruck, aber ich sehe trotzdem Tatbegehungsgefahr", begründet sie die Verlängerung der Untersuchungshaft bis zum nächsten Termin am 24. Mai. (Michael Möseneder, xx.5.2016)