Die transsexuelle Künstlerin Anohni singt auf ihrem neuen, elektroniklastigen Album "Hopelessness" gegen die Weltlage an.

Foto: Alice O'Malley

Wien – 2005 sang die transsexuelle New Yorker Künstlerin Anohni in einem ihrer bekanntesten Lieder den programmatischen Satz: "One day I'll grow up / I'll be a beautiful woman / For today I am a boy." Damals war die 1971 in Großbritannien als Antony Hegarty geborene und in Kalifornien aufgewachsene Ausnahmesängerin gerade auf dem Höhepunkt einer Karriere, die sie aus abgerockten Underground-Clubs der Lower East Side in Manhattan innerhalb weniger Jahre auf die großen Bühnen der Hochkultur führen sollte.

Mit ihrem Bandprojekt Antony and the Johnsons produzierte Anohni einen bald oft und gern kopierten kammermusikalischen Pop, sehr gern auch mit Streicherbegleitung. Dieser war nicht nur der klassischen Ballade verpflichtet. Unter besonderer Berücksichtigung des klassischen Kunstlieds mit Klavierbegleitung gefiel sich Anohni auch mit kräftigem, vibratolastigem Bariton zwischen Sehnsucht, Verzehren, Begehren und öffentlichem Leiden an der Welt in einer Kunst, die dem Hörer kaum eine Chance auf Gegenwehr ließ. Antony and the Johnsons, das war bei aller musikalischen Intimität immer auch eine dank ihrer Frontfigur nichts weniger als überwältigende Macht. Nach deren Genuss verspürte man ein gewisses emotionales Völlegefühl ebenso wie eine tiefe innere Leere und Traurigkeit.

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Vom Fauteuil zum Tanz

Kollaborationen mit Lou Reed, der sie für sein Werk "The Raven" buchte, mit Laurie Anderson, Yoko Ono, der Performancekünstlerin Marina Abramovic oder Björk festigten ihre fixe Position im internationalen Festivalzirkus. Vor allem aber eine Zusammenarbeit sollte sich für die Zukunft als eine zentrale herausstellen. 2008 eroberte sie als Gastsängerin der US-Disco- und House-Neudeuter Hercules & Love Affair mit dem Track "Blind" und einem für sie radikalen Stilwechsel vom Fauteuil auf die Tanzfläche auch die Clubs dieser Welt.

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Mit ihrem neuen Album "Hopelessness" verfolgt Anohni nach einigen zurückgezogenen Jahren nun diesen Ansatz weiter. Immerhin erfordern härtere Zeiten nicht nur härtere Beats. Anohni verspürt mittlerweile nach einer langen Zeit des von vielen Stammhörern geteilten Individualleids auch jede Menge gesellschaftlichen Protest in sich. Und Protest verträgt sich bekanntlich schlecht mit hingetupften Klavierballaden. Ausnahmen wie John Cale oder ... Konstantin Wecker bestätigen nur die Regel.

Produziert haben die elf Stücke scheinbarer Hoffnungslosigkeit zwei sehr unterschiedliche Größen des Elektronikgenres. Zum einen wäre da der auf keinerlei Stilreinheiten Wert legende Laptop-Produzent Hudson Mohawke. Er trägt aktuell auch zum Gelingen von Kanye Wests Work in progress "The Life of Pablo" bei und zeichnet auf "Hopelessness" wohl eher für die Eingängigkeit der Refrains über rumsenden Elektro-Beats verantwortlich. Zum anderen ist Daniel Lopatin zu nennen. Als Oneohtrix Point Never sorgt er mit harschem Krach und einer oft Richtung Grundsperrigkeit neigenden Soundgestaltung dafür, dass man auch wirklich merkt, dass auf dem Album protestiert wird.

REBISMUSIC

Obwohl Anohni betont, mit Songs wie "Drone Bomb Me" (War against Terror), "Execution" (Todesstrafe), "Watch me" (Überwachungsstaat) oder dem düsteren Mantra Obama (Obama) vor allem auch den Dancefloor nachdenklich machen zu wollen, muss der Hörer schon auch für eines prädestiniert sein. Es benötigt eine einigermaßen große Verzweiflung und Unzufriedenheit gegenüber der Gesamtsituation, um dazu wirklich wütend antanzen zu können. Lösungen hat Anohni am Ende naturgemäß keine anzubieten. Aber ein Arbeitskreis zum Thema und ein Kreistanzseminar funktionieren bekanntlich ähnlich. (Christian Schachinger, 6.5.2016)