
Der berühmte Baaltempel von Palmyra. Oben ist er im Zustand vor seiner Zerstörung durch die Terroristen des IS am 30. August 2015 zu sehen.
Wien – Im April wurde auf dem Trafalgar Square in London eine verkleinerte Replik des Triumphbogens von Palmyra aufgestellt. Das etwa 2.000 Jahre alte Original war vom Islamischen Staat im Oktober 2015 gesprengt worden, so wie auch zahlreiche andere historische Baudenkmäler im Nahen Osten. Die "Auferstehung" in London sollte ein Signal für den Wiederaufbau der vom IS zerstörten syrischen Ruinenstadt geben – doch nicht alle Experten sind dafür. Bauforscher sprachen sich in Innsbruck gegen solche Rekonstruktionen von im Krieg zerstörten Monumenten aus. "Kopien entwerten das Original und kaschieren dessen unwiederbringlichen Verlust als historisches Dokument", betonten die Wissenschafter von der Koldewey-Gesellschaft.
Die 1926 gegründete Vereinigung von historischen Bauforschern in den deutschsprachigen Ländern mit rund 350 Mitgliedern hat kürzlich in Innsbruck getagt. Angesichts aktueller Vorstöße, modernste Technik für die Dokumentation bestehender und die Rekonstruktion verlorener Denkmäler einzusetzen, spricht sich die Koldewey-Gesellschaft gegen eine solche Reproduktion von zerstörten Kulturdenkmälern aus.
"Die Menschen in Syrien und im Irak haben etwas Besseres verdient, als ein archäologisches Disneyland aus Plastik vor die Nase gesetzt zu bekommen", erklärte Ursula Quatember, Vorstandsmitglied der Koldewey-Gesellschaft und Archäologin an der Universität Graz.
Reduzierte Abbilder einzigartiger Kunstwerke
Mit solchen Rekonstruktionen werde "suggeriert, man könne mittels digital erzeugter Reproduktionen, wie etwa 3D-Plots, alles wiedererstehen lassen, was irgendwann einmal von irgendwem zerstört wurde, und die digital erzeugte Kopie sei ein vollwertiger Ersatz für das verlorene Original", heißt es in einer Stellungnahme der Gesellschaft. Doch nach Ansicht der Bauforscher wird "durch die beliebige, maßstabs- und ortsunabhängige Reproduktion das Baudenkmal in größtmöglicher Weise marginalisiert und auf sein äußeres Abbild reduziert".
Für die Koldewey-Gesellschaft handelt es sich bei den zerstörten Objekten aber "um einzigartige, in Form und Konstruktion nicht reproduzierbare kulturelle Zeugnisse". Ziel müsse sein, die authentische Substanz der betroffenen Denkmäler in ihrer vielschichtigen Wirkung und historischen Bedeutung in größtmöglichem Umfang zu erhalten. Nicht Reproduktionen und Simulationen seien gefragt, "sondern die Rettung der authentischen Monumente – auch in ihrer Fragmentierung – als Mittel der Kommunikation und Geschichtsbewältigung".
"Schnelle Lösungen aus dem 3D-Drucker, die diese schmerzlichen Verluste des kulturellen Erbes der Menschheit zudecken, anstatt sich damit auseinanderzusetzen, stellen keine adäquate Lösung dar", sagte Quatember. (APA, red, 10.5.2016)