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Foto: REUTERS/Gonzalo Fuentes

Man nennt es in Paris den "institutionellen Holzhammer": Paragraph 3 von Artikel 49 der französischen Verfassung ermächtigt die Regierung unter gewissen Vorbehalten, sich über den Willen der Nationalversammlung hinwegzusetzen und ein Gesetz ohne Abstimmung zu verabschieden.

Genau das hat die französische Regierung in einer überraschenden Wendung beschlossen. Premierminister Manuel Valls holte sich am Dienstag von seinen Ministern die formelle Erlaubnis, den ominösen Artikel 49-3 einzusetzen, um die ausufernde Gesetzesdebatte zur Reform des Arbeitsrechts zu unterbinden. Namentlich die Ratslinke hatte fast 5000 Gesetzesvorschläge eingereicht, um die Revision zu verwässern oder verhindern.

Längere Arbeitszeit

Das Gesetz sucht etliche Bestimmungen des als rigid geltenden Arbeitsrechts zu liberalisieren. Besonders umstritten ist die Lockerung der 35-Stundenwoche: Das neue Gesetz erlaubt es Firmen, in Absprache mit den Gewerkschaften die Arbeitszeit zu erhöhen. Das hätte faktisch zur Folge, dass ab der 36. Arbeitsstunde ein Überstundenzuschlag von bloß 10 Prozent – bisher 25 Prozent – des Salärs bezahlt werden müsste.

Kommunisten, Grüne und der linke Flügel der regierenden Sozialisten sehen in dieser und anderen Neuerungen – etwa der Flexibilisierung des Kündigungsrechts – Vorlagen für ein soziales Dumping: Wenn zum Beispiel im Transportsektor eine Firma beginne, die Arbeitszeit der Chauffeure schlechter zu entlöhnen, müsse die Konkurrenz nachziehen; damit werde das ganze Regime der "35 heures" ausgehebelt.

Mehr Arbeitsplätze als Ziel

Arbeitsministerin Myriam El Khomri, die dem Gesetz ihren Namen gegeben hat, sieht in der Liberalisierung hingegen ein Mittel, die Firmen zu entlasten und damit die Einstellung neuer Angestellter zu erleichtern. Diese Sicht teilt aber nicht einmal ihre Partei. Die Linksregierung käme deshalb in der für nächsten Dienstag anberaumten Schlussabstimmung des Gesetzes auf keine Mehrheit: Die konservative Opposition ist dagegen, weil es ihr nicht weit genug geht, der linke Ratsflügel, weil es zu weit gehe.

Staatschef François Hollande, der im Hintergrund die Fäden zieht, auch wenn er sich wahltaktisch bedeckt hält, rechnete mit Premier Valls am Sonntag aus, dass zur Verabschiedung in der Nationalversammlung rund 40 Stimmen fehlen. Deshalb muss er fast zum Notfallmittel des Artikels 49-3 greifen. Diese Bestimmung kann aktiviert werden, wenn die Regierung im Parlament zugleich eine Vertrauensabstimmung zulässt. Hollande und Valls gehen davon aus, dass sogar jene Sozialisten, die gegen die Arbeitsreform sind, die Regierung unterstützen würden, um keine Neuwahlen zu provozieren.

Proteste gegen Regierung

In der Nationalversammlung geißelten aber selbst Sozialisten das "undemokratische Verhalten" der Regierung. Allein der Griff zum "Quarante-neuf trois" (Neunundvierzig-Drei) zeigt, wie geschwächt sie ist. Schon vor Jahresfrist brachte die Staatsführung das so genannte Macron-Gesetz zur Liberalisierung einzelner Wirtschaftszweige nur auf diese Weise durch. In der Zwischenzeit hat sich mit der Sozialbewegung "Nuit debout" (Aufrecht in der Nacht) zudem eine weitere linke Protestfront gegen die Regierung gebildet.

Die Gewerkschaften hatten schon vor Tagen zu einem neuen Streik- und Protesttag gegen das El Khomri-Gesetz an diesem Donnerstag aufgerufen. Der Einsatz des Artikels 49-3 könnte dabei nun zu geharnischten Reaktionen auf der Straße sorgen. Die Polizei ist jedenfalls bereits in Bereitschaft.

Vertrauensabstimmung

Selbst unbeteiligte Kommentatoren fragen sich, warum Hollande nach zahlreichen Konzessionen an die Linke plötzlich einen harten Kurs fährt. Offenbar rechnen Valls und Hollande damit, dass die Protestbewegung am Abbröckeln war. Hollande allerdings hat allerdings in letzter Zeit mehrere politische Rückschläge einstecken müssen und halst sich nun zusätzliche Proteste von links auf. Die Vertrauensabstimmung – voraussichtlich Ende dieser Woche – wird wohl keine bloße Formalität sein. (Stefan Brändle, 10.5.2016)