Seine wichtigste These ist, dass die Nato-Intervention im Kosovo, dazu gedient hat, dass sich das Verteidigungs- zu einem Interventionsbündnis transformiert hat und die Nato sich von den juristischen Vorgaben des UN-Sicherheitsrats distanziert hat. Weiters, so der Autor Kurt Gritsch, sei es um die Zersplitterung Jugoslawiens und Eindämmung des serbischen Einflusses, um die Stärkung des US-amerikanischen Einflusses in Europa, die außenpolitische und militärische Emanzipation Deutschlands und neoliberale wirtschaftspolitische Überlegungen gegangen. In Gritschs Buch Krieg um Kosovo geht es auch vorwiegend um die Rolle der Nato und nicht um das lokale Geschehen.
Er unterscheidet zwischen zwei Deutungen des Konflikts, einem prowestlichen "Traditionalismus" und einem "Revisionismus", der der serbischen und russischen Position zuzurechnen ist. Beim Traditionalismus verweist er auf Shoah-Analogien, die von Medien während der Kriege in Bosnien-Herzegowina (1992-1995) und im Kosovo (1999) verwendet wurden. Allerdings werden solche Shoah-Analogien heute kaum verwendet. Gritschs Buch ist deshalb auch eher eine zusammenfassende Kritik an der Berichterstattung in den 1990er Jahren.
Prinzipiell ist es verdienstvoll, dass er Narrative auseinandernimmt, allerdings sollten die Fakten trotzdem im Vordergrund bleiben. Gritsch spricht etwa bezüglich des Bosnien-Kriegs von der "Matrix westlicher Berichterstattung", die großteils in "serbische Aggressoren und bosnisch-muslimische Opfer" unterteilt hatte und die Fortsetzung "serbischer Vertreibungspolitik" im Kosovo sah. Faktum ist aber, dass 80 Prozent der getöteten Zivilisten im Bosnienkrieg Bosniaken waren – westliche oder nichtwestliche Berichterstattung hin oder her.
Zu Spekulationen kann auch seine These vom "Subtext" führen. "Um die Frage zu beantworten, warum der Angriff auf Jugoslawien vorbereitet und durchgeführt wurde, wird nach den Motiven in den Subtexten zu fragen sein", schreibt er. Natürlich sind diverse Motive rund um die Nato-Intervention interessant. Allerdings führt die Frage nach einer "versteckten Agenda" nicht zwangsweise zur Aufklärung, sondern oft auch nur zu Verschwörungstheorien. Interessant an Gritschs Buch ist die Diskussion rund um die "humanitäre Intervention", die wegen der Kosovo-Krise entstand und uns weiter begleitet. (Adelheid Wölfl, 11.5.2016)