Kaum hatte Werner Faymann am Montag seinen Rücktritt erklärt, gab es erste Gerüchte, was der Altkanzler jetzt beruflich tun werde. Ein Rückzug in die Pension wäre für den Berufspolitiker mit nicht abgeschlossenem Jusstudium, der bis 2008 mehr als ein Jahrzehnt lang als Wohnbaustadtrat in Wien gewerkt hatte, schon aus Altersgründen unmöglich: Faymann ist 55. Ein Abgeordnetenmandat im Nationalrat will er nicht annehmen, sich völlig aus der Politik zurückziehen.
Der Zeitung "Österreich", deren Herausgeber Wolfgang Fellner dem Ex-Kanzler mehr als freundschaftlich verbunden ist (was wegen üppiger öffentlicher Inseratenaufträge oft für Aufregung sorgte) vertraute Faymann an, dass er nach zwei, drei Monaten Urlaub nachdenken wolle, ob er "etwas im Rahmen der EU in Brüssel machen" wollte.
Nun hätte das Blatt diese Andeutung nach der missglückten Schlagzeile vom Samstag – "Faymann bleibt SPÖ-Chef" – etwas vorsichtiger angehen können. Aber Stunden später wurde vermeldet, dass der "aktuell längstdienende sozialdemokratische Regierungschef in der EU" beste Chancen habe, Nachfolger von EU-Ratspräsident Donald Tusk zu werden. Sollte Martin Schulz (SPD), wie vereinbart, als EU-Parlamentspräsident ausscheiden, würden die Sozialdemokraten den Tusk-Posten als "Gegengewicht" zum konservativen Kommissionschef Jean-Claude Juncker einfordern. Und man spekuliert noch weiter: Faymann könnte alternativ auch EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini ablösen.
Mit der Brüsseler Realität sind solche Gedankenspiele schwer in Einklang zu bringen. Schulz' Mandat läuft Ende Dezember aus, der Liberale Tusk ist bis Juni 2017 gewählt, einstimmig von den Regierungschefs. Ob Tusk sich um eine zweite Periode bemühen wird, ist völlig offen. Sehr unwahrscheinlich ist, dass Faymann die Italienerin Mogherini ersetzt. Sie ist zugleich Vizepräsidentin der Kommission, vom EU-Parlament sogar bis 2019 gewählt. Warum sollte sie ihm Platz machen? Er muss also etwas anderes im Auge haben.
Die höchste Parteifunktion in der Familie hat fortan jedenfalls Ehefrau Martina Ludwig-Faymann inne: Die 49-jährige Gattin des Ex-Kanzlers ist Mitglied des Wiener Landtags und Gemeinderats. Bereits in ihrer frühen Jugend engagierte sich Ludwig in der Sozialistischen Jugend (SJ) in Favoriten, später dann auch bei den SPÖ-Frauen. Sie kann sogar auf eine längere Amtszeit zurückblicken als ihr Partner: Stellvertretende Vorsitzende des Wiener Klubs ist sie seit zwanzig Jahren. (Thomas Mayer, Katharina Mittelstaedt, 10.5.2016)