Peter Schnedlitz: "Gute Start-ups im Handel zu machen, gehört zu den schwierigsten Projekten überhaupt."

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Viele galten im Handel einst als unerschütterliche Festungen, heute sind sie Geschichte: mächtige Familienkonzerne wie Baumax und Sport Eybl.

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STANDARD: Baumax, Zielpunkt, Sport Eybl, Niedermeyer: Österreichs Handel wird zu einem Friedhof großer Marken. Einige galten lange als unsinkbare Tanker. Mittlerweile ist es, als hätte es sie nie gegeben. Stimmt einen das als Marketingexperten nachdenklich?

Peter Schnedlitz: Viele Marken wurden 20, 30 Jahre alt, führten ein Konzept über Jahrzehnte fort. Aber in dieser Zeit wurden nicht nur die Unternehmen, sondern auch ihre Gründer alt. Viele verabsäumten es, frisches Wissen hereinzuholen. Die Ursachen für die Pleiten sind völlig unterschiedlich. Der einzige gemeinsame Nenner bei einigen ist, dass die Öffnung des Ostens vor 25 Jahren neue Impulse brachte und zu erhöhtem Risiko verleitete. Wie die Banker sahen auch Händler den Osten als sicheres Investment.

STANDARD: Sie spielen auf Baumax an ...

Schnedlitz: Einer der erfolgreichsten österreichischen Händler aller Zeiten, der sich mit einer Milliarde Euro Umsatz auch international sehen lassen konnte. Und dann nimmt er volles Risiko im Osten. Herr Essl (Anm. Ex-Eigentümer) erzählte uns an der Wirtschaftsuni einmal von der christlichen Soziallehre und schloss damit, dass er im Übrigen mit Baumax in die Türkei expandiere. Türkische Studenten fragten ihn, wie das zur Firmenphilosophie passe, ob er wisse, dass der Werkzeughandel dort ganz anders organisiert sei – in Familienclans. Baumax aber investierte in kurzer Zeit hunderte Millionen Euro, völlig unnötig. Oder nehmen Sie Ditech...

STANDARD: ... vor nicht langer Zeit umjubelter IT-Händler ...

Schnedlitz: Aus meiner Sicht die unnötigste Pleite aller Zeiten. Ditech zählte zu den wenigen, die den mehrgleisigen Vertrieb richtig machten und in einer Nische 40 Millionen Umsatz erzielten. Und dann beginnen sie plötzlich aus unerklärlichen Gründen im stationären Handel zu expandieren. Und unterschätzen völlig die Kosten, die langfristigen Mietverträge, die Suche nach guten Mitarbeitern. Das Ganze glitt ab in Konzeptlosigkeit.

STANDARD: Bei vielen anderen großen Handelsketten haben Sanierer das Sagen: bei Kika und Leiner, bei Leder & Schuh.

Schnedlitz: Häufig stecken Familienstreitereien und -schlachten dahinter. Oder die Koinzidenz von alten Inhabern und altem Betriebstyp führt zum Schlingerkurs: Mal hü, mal hott. Zugleich werden starke Konkurrenten noch stärker. Dann wird's fatal.

STANDARD: Gescheiterte Übergaben ziehen sich wie ein roter Faden durch den Handel: übermächtige Väter, Söhne, denen die Fußstapfen zu groß sind oder die ganz andere Wege einschlagen wollen. Haben familiengeführte Konzerne per se ein Ablaufdatum?

Schnedlitz: Sie sind eine Chance, aber auch ein Risiko. Sie müssen nicht auf den nächsten Börsentermin schielen – das spürt man bei ihnen, auch den familiären Zusammenhalt, etwa bei Spar. Würden die vier Eigentümerfamilien streiten, wäre es schlimm. Manche haben auch Glück, wie Manner oder Zotter, bei denen eine Person stark mit dem Unternehmen verknüpft ist. Professionelle Manager hätten wohl nie erreicht, was sie erreicht haben. Die meisten Familienunternehmen heute wollen jedoch das Management outsourcen. Patriarchen, die Entscheidungen aus dem Bauch heraus treffen, werden zur Minderheit.

STANDARD: Warum wachsen so wenig junge österreichische Marken im Handel nach?

Schnedlitz: Gute Start-ups im Handel zu machen, gehört zu den schwierigsten Projekten überhaupt. Eine App zu produzieren und Laufdaten aufzuzeichnen, ist was ganz anderes. Aber die Situation ist in vielen Ländern ähnlich: Warum kommt etwa in Schweden hinter Ikea und H&M nichts nach? Es gab da einst die Gunst der Stunde, als qualitativ hochwertiger Konsum zu Massenkonsum wurde. Da etwas nachzuschicken, ist kaum möglich. Die billigen Arbeitskräfte sind im Osten. Und die jungen Kreativen stürzen sich lieber auf Hightech. Innovationen sehe ich im Handel aber im Lebensmittelbereich, von Unternehmern mit Migrationshintergrund. Wie etwa Familie Hüseyin, die mit dem Ethnodiskonter Etsan expandiert.

STANDARD: Österreichs Handel besteht überwiegend aus Duopolen: Kaum eine Branche, die nicht von wenigen Konzernen dominiert wird. Die hohe Marktkonzentration ist europaweit einzigartig. Was lief da falsch?

Schnedlitz: Ursprünglich beabsichtigte Flächenrestriktionen hatten andere Effekte als erwartet. Die Flächenwidmung für Lebensmittelhändler etwa, die kein Geschäft über 800 Quadratmeter eröffnen durften, führte dazu, dass große Ketten in kleine Betriebstypen investierten. Dass Supermärkte zwischen 400 und 1000 Quadratmeter heute 50 Prozent Marktanteil haben – damit sind wir in Europa allein auf weiter Flur. Ohne diese Restriktion hätten sich Billa und Co auf größere Flächen konzentriert und Luft für kleine, selbstständige Händler gelassen.

STANDARD: Lässt sich das heute noch korrigieren, etwa von der Wettbewerbsbehörde?

Schnedlitz: Nein. Konzerne wie Hofer, Spar und Rewe sind ja auch nicht durch irgendwelche finsteren Mächte zu ihren Marktanteilen gekommen, sondern durch Stärke.

STANDARD: Ob Einkaufsstraße oder Einkaufscenter: Überall duellieren sich die gleichen Ketten. Sind Konsumenten womöglich doch Gewohnheitstiere und wollen Uniformität?

Schnedlitz: Nein. Was wir hier erleben, ist die Globalisierung der Immobilienwirtschaft. Da wird ein Betriebskonzept durchgedrückt, da werden Standorte besetzt – wissend, dass sie vielleicht zehn Jahre nicht kostendeckend sind. Das Goldene Quartier in Wien: Das kann sich nicht rechnen. Ein kleiner Händler muss sofort Gewinn machen, sonst ist er in fünf Jahren pleite. Für Großkonzerne ist das Ganze Teil eines Portfolios; man muss halt in der Fifth Avenue vertreten sein, in der Champs Élysée ...

STANDARD: Investor René Benko ließ kürzlich wissen, dass die Geschäfte in seinem Goldenen Quartier, der neuen Luxusmeile der Wiener Innenstadt, "hervorragend" laufen ...

Schnedlitz: Wir beobachten es laufend und haben erst jüngst wieder Erhebungen gemacht. Es dominieren ausländische Gäste. Von namhafter Frequenz kann ich aber nirgendwo sprechen. Meist sind mehr Verkäufer in den Geschäften als Kunden. Zugeben wird das keiner, das ist eine Lobbyistengeschichte. Am Ende des Tages sind aber auch diese großen Konzerne Kaufleute, denn von Werbewirkung allein kann keiner leben. Vor allem nicht, wenn weniger Russen und Araber als Kunden kommen. (Verena Kainrath, 14.5.2016)