Jan Böhmermann mit seinem neuesten Fake-Coup: in die RTL-Sendung "Schwiegertochter gesucht" eingeschleusten Kandidaten.

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Donnerstagnacht war das Kandidatenprofil noch online ...

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... per Twitter hatte RTL da schon seine Reaktion verkündet.

Berlin/Wien – Ein Monat ohne das Neo Magazin Royale (NMR) ist zu Ende. Ein Monat ohne NMR und auch ohne dessen Moderator Jan Böhmermann, der seit seinem "Schmähgedicht" auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan Ende März jeder Menge politischer und medialer Aufregung ausgesetzt war und sich deshalb bis Donnerstagabend in die selbstverordnete TV-Pause zurückgezogen hatte. Jetzt ist er wieder da. "War was?", so der Titel der Ausgabe vom 12.5.

Gags aus dem Publikum

Die Erdogan-Affäre war da natürlich Thema. "Willkommen zurück bei Deutschlands gesetzestreuester Unterhaltungsshow", ließ er seine Satire-Sendung einleiten. "Auf dieser Sendung ist viel Druck. Oft verstoßen Gags gegen die Menschenwürde", sagte er dann selbst zum Auftakt. So werde er jetzt keine Witze mehr über Adolf Hitler machen, denn "es könnte sein, dass mir das als Störung der Totenruhe ausgelegt wird".

Zudem hatte er sein Publikum eingeladen, Gags einzuschicken, die er vortrug und mit je 103 Euro honorierte – in Anspielung auf den Strafrechts-Paragrafen 103 wegen Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter, der mit ausdrücklicher Genehmigung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Grundlage für die Strafverfolgung gegen Böhmermann ist.

Gysi kritisierte Merkel

Vor allem aber übernahm Gast Gregor Gysi, der frühere Linken-Fraktionschef, die Aufgabe, zu sagen, was zu sagen war. Darunter, dass ihm das Gedicht, mit dem Böhmermann Erdogan unter der Gürtellinie angegriffen hatte, nicht gefallen habe, "weil es alle Vorurteile bedient". Wenn das Gedicht trotzdem so viel Zustimmung bekomme, liege das jedoch daran, dass Erdogan "wirklich eine Scheißpolitik" mache: "Er verbietet die größte Oppositionszeitung, er verfolgt die Kurden in der Türkei, er bombardiert die Kurden in Syrien, die gegen den Islamischen Staat kämpfen." Die Bundesregierung sage dazu fast gar nichts, und "das geht nicht".

Und Gysi teilte auch heftig in Richtung Merkel aus. "Ich kann doch nicht sagen, den einen, den will ich noch verurteilt sehen", kommentierte er die Genehmigung der deutschen Kanzlerin zur Strafverfolgung Böhmermanns auf Grundlage eines Paragrafen, den sie selbst abschaffen wolle. Zudem sei der ganze Paragraf verfassungswidrig, weil er mit zweierlei Maß messe: Warum solle die Beleidigung Erdogans schwerer wiegen als die eines jeden anderen?

"Schwiegertochter" gefaked

Böhmermann selbst hatte sich indes Gedanken über eine andere "wichtige, mächtige Frau, eine füllige Frau in ganz speziellen Sakkos" gemacht. Und ihr nicht nur das großartige Herzstück der Ausgabe, sondern auch deren Hashtag "#verafake" gewidmet: Vera Int-Veen, Moderatorin der RTL-Menschenopfer-Sendung Schwiegertochter gesucht.

Nun schon im zehnten Jahr macht jene es sich zur Aufgabe, Menschen schwer an der Grenze zur geistigen Behinderung vor TV-Publikum einander zuzuführen. Fürs Lebens- und Liebesglück des "romantischen Russen" Waldemar, des "kundigen Konditors" René, des "attraktiven Andersliebenden" Kevin – ja, Alliterationen mag man – oder des vermeintlichen "einsamen Eisenbahnfreundes" Robin.

NEO MAGAZIN ROYALE

Jenen und dessen Vater entlarvte Böhmermann als vom NMR in die Kuppelshow eingeschleuste Schauspieler – und infolge menschenverachtende Zustände wie den allen Kandidaten vorgelegten Abzockvertrag (fünf Euro Gage je Drehtag). Weiters von RTL kitschsteigernd umdekorierte Wohnungen und plump vorgeschriebene Texte: Inszenierungen, um den Voyeurismus zu bedienen und zur besseren "Vermarktung" – um die 90.000 Euro verdient der Sender mit einer Werbeminute während der Show. Ein anderes Highlight: Die vom Teilnehmer eingeforderte schriftliche Erklärung, er sei nicht geistig beeinträchtigt.

Böhmermann hat sich damit nach dem Tumult der letzten Wochen auf relativ sicheres Terrain begeben – ohne an Qualität vermissen zu lassen. Statt glattes Politparkett gibt’s Medienkritik. Auch gut! Auch wichtig! Das Unrecht kann schließlich – und tut es zumeist – auch viel banaler daherkommen denn per präsidialen Rundumschlägen.

Im Vorfeld der Sendung...

Böhmermann selbst äußerte sich vor der Ausstrahlung seiner neuen Sendung schockiert über die Reaktionen auf sein Erdogan-Gedicht. "Ich war dann doch überrascht, dass die Grenzen der Freiheit nicht so großzügig und weit ausgelegt werden, wie ich das bisher immer gedacht habe", sagte er dem ZDF. Ihm sei es darum gegangen, "Grenzen auszuloten".

Für Aufsehen sorgte am Donnerstag im Bundestag der CDU-Abgeordnete Detlef Seif, der in einer Debatte über die Abschaffung des Paragrafen 103 Böhmermanns Gedicht komplett im Parlament vortrug. Damit ist der Text auch in der Mediathek des Bundestages abrufbar. Das ZDF hatte die umstrittene Sendung Böhmermanns von Ende März damals aus seiner Mediathek gelöscht – offiziell aus Qualitätsgründen, wie Böhmermann ironisch anmerkte.

Update: Konsequenzen angekündigt

Freitag am Nachmittag reagierte auch RTL auf Böhmermanns #verafake. Der Sender verspricht Konsequenzen. "Bei der Produktion einer Folge von 'Schwiegertochter gesucht' sind Fehler im Bereich der redaktionellen Sorgfaltspflicht gemacht worden", sagt RTL-Unterhaltungschef Tom Sänger. Die Produktion der aktuellen Staffel werde daher von einem neuen Team realisiert.

In der Stellungnahme entschuldigt sich auch die Produktionsfirma Warner. Geschäftsführer René Jamm wird folgendermaßen zitiert: "Respekt an Herrn Böhmermann. Wir sind ihm komplett auf den Leim gegangen, denn er hat uns einen sympathischen Schwiegersohn präsentiert. Wir haben uns in ihn 'verliebt' und in diesem Fall gleichzeitig unsere redaktionelle Aufsichtspflicht missachtet. Wir werden dafür die Verantwortung übernehmen und inhaltlich sowie personell umstrukturieren". Jamm verteidigt allerdings einige Punkte, die Böhmermann an dem Format kritisierte – hier im Detail nachzulesen.

Eine Vorprüfung des RTL-Formats leitet die Landesmedienanstalt Niedersachsen ein. Direktor Andreas Fischer sagt zu deutschen Medien: "Die Teilnehmer der Sendung haben in diesem Fall überhaupt keine Zeit bekommen, sich die Unterlagen in Ruhe durchzulesen. Die gesamte Abwicklung erinnert eher an Haustürgeschäfte als an seriöses Geschäftsgebaren." (wurm, APA, red, 12.5.2016)