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Dada – was mag das Wort bedeuten? Ist das nur Kleinkindergebrabbel? Auf Französisch hat es immerhin eine Bedeutung: Steckenpferd. Einer Legende zufolge soll einer der späteren Dadaisten ein Wörterbuch aufgeschlagen und seinen Finger zufällig auf dieses Wort gelegt haben. Und in Zürich gibt es sogar eine Seifenmarke dieses Namens.

Es war ein anarchisch-artistischer Wirbelwind, der 1916 über die Schweizer Stadt fegte – aber bemerkte sie es überhaupt? Als das Cabaret Voltaire in der Spiegelgasse 14 im Februar 1916 zum ersten Hauptquartier der Dadaisten wurde, wohnte Lenin in der unmittelbaren Nachbarschaft auf Hausnummer 1. Es ist nicht verbürgt, dass er seine Nachbarn jemals besucht hat. Oder James Joyce. Der lebte damals ebenfalls in Zürich, schrieb aber keine einzige Zeile über die Dadaisten.

Das Zürcher Cabaret Voltaire wurde im Jahr 1916 zum ersten Hauptquartier der Dadaisten. 2016 gibt es dort wieder täglich bis Mitte Juli Soireen.
Foto: Zürich Tourism / Christian Schnur

Die meisten Anrainer des Cabaret Voltaire klagten weniger über intellektuellen Aufruhr als über ganz normale Lärmbelästigung, obwohl sie sicher einiges gewohnt waren. Das Niederdörfli war ein Ausgehviertel mit Cafés, Bars, Varietés und Prostitution. Heute geht es hier harmloser, aber nach wie vor belebt zu, Restaurants, Boutiquen, Galerien, Buchläden haben sich einquartiert. Wenn man nur ein paar Schritte hügelaufwärts marschiert, ist man in einer ganz stillen, kleinstädtischen Atmosphäre.

Im Cabaret Voltaire muss es jedenfalls hoch hergegangen sein: Hugo Ball trug seine Lautgedichte vor, Emmy Hennings und Sophie Taeuber-Arp tanzten zum wilden Getrommel von Richard Huelsenbeck, alle trugen Kostüme des rumänisch-israelischen Künstlers Marcel Janco. Mit dem Maler und Dichter Hans Arp sowie dem Dichter Tristan Tzara war die Dada-Truppe komplett. Die plakat- und bilderbehängten Wände waren schwarz ausgemalt, die Decke blau, und an der Bar wurde Absinth, die literatenbetörende "Grüne Fee", ausgeschenkt.

Berauschende Tage

Es müssen berauschende Tage gewesen sein. Ob die Zürcher Normalbevölkerung irgendetwas davon mitbekommen hat, ist nicht bekannt – die Behörden haben das sehr wohl. So wurde Tristan Tzara revolutionärer Umtriebe verdächtigt und sein Hotelzimmer durchsucht. Nachdem der Staatsanwalt die Dada-Publikationen studiert hatte, kam er zu dem Schluss, Tzara wäre bloß wahnsinnig, aber politisch nicht gefährlich. Der ließ sich das zusätzlich von einem Psychiater in Bern bestätigen, wodurch er in seinem Heimatland Rumänien, das in der Zwischenzeit in den Krieg eingetreten war, als wehrdienstuntauglich galt.

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Das Niederdörfli war ein Ausgehviertel mit Cafés, Bars, Varietés und Prostitution.

Dada war zu dieser Zeit ein Schabernack begabter junger Leute. Aber nicht nur. Es war auch ein Gestus von Antikunst und Anti-Establishment dabei, denn die Dadaisten sahen in der Kunst ihrer Zeit nichts als das Vergnügen und den Dekor des Bürgertums. Sie wollten die Kunst den Menschen "zurückgeben" und sie zugleich zu Nonsens und Irrationalität hin öffnen. Alles war es selbst, genauso gut aber auch sein Gegenteil, und weil Dada sich jeder Definition entzog, konnte es auch keine Dadaisten geben.

Das waren nicht nur Spiegelfechtereien, sondern aus Sicht der Dadaisten die einzig mögliche Reaktion auf den Wahnsinn des Weltkriegs, der in der Maske technokratischer Vernunft daherkam. Mit Argumenten, mit Rationalität war dem Weltkrieg nicht beizukommen – nur mit Nonsens.

Tumulte bei der letzten Soiree

Ein halbes Jahr später war es – nach Anwohnerbeschwerden und nachdem kein Geld mehr da war – mit dem Cabaret Voltaire auch schon wieder vorbei. Das störte die Dadaisten aber nicht, sie gingen einfach über die Münsterbrücke und hielten ihre Soireen fortan am anderen Limmat-Ufer ab. Eigenartigerweise taten sie das an Orten des absoluten Establishments, mag sein, dass sie einfach große Räumlichkeiten benötigten.

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Die Münsterbrücke

Im Zunfthaus zur Waag, wo Hugo Ball im Juli 1916 sein erstes dadaistisches Manifest verkündete, wird heute in getäfelten Sälen Geschnetzeltes serviert, regelmäßig finden Zunftversammlungen statt, die längst keine Treffs politischer Interessensvertretungen mehr sind, wie sie das jahrhundertelang waren. "Hier kommen Gewerbetreibende zusammen und betreiben Traditionspflege", erklärt Pächter Sepp Wimmer, ein gebürtiger Oberösterreicher.

Der Paradeplatz, an dem 1917 die Dada-Galerie eröffnet wurde, ist heute ein Hauptquartier der Business-Community, im Restaurant Kaufleuten treffen sich Banker und Geschäftsleute zum Power-Lunch, die Atmosphäre atmet Wohlstand und Wohlleben. Kein Vergleich mit der letzten Dada-Soiree im April 1917, als es zu Tumulten gekommen sein soll.

Von Zürich in die Welt

Danach war Schluss mit Dada in Zürich. Hugo Ball hatte sich von der Bewegung bereits ab- und dem politischen Journalismus, später dem Katholizismus zugewandt. Huelsenbeck und Tzara gingen nach Berlin beziehungsweise Paris, um dort neue Dada-Grüppchen zu begründen. Tatsächlich wurde das Phänomen in den Folgejahren zu einem globalen, das auch New York und zahlreiche weitere Städte erreichte.

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Der Paradeplatz ist heute ein Hauptquartier des Business-Community.
Foto: REUTERS/Arnd Wiegmann

Mit Dadas doppelter Stoßrichtung von politischem Aufbegehren und artistischer Entgrenzung konnten sich auch spätere Künstlergenerationen identifizieren. Surrealismus, Beat Generation, Fluxus und Aktionskunst, Situationismus, Punk – alles ohne Dada schwer denkbar. Von daher ist die museale Aufbereitung wirkungsgeschichtlich richtig, auch wenn sich Dada im Kern jeder Definition und schon gar seiner Musealisierung entzieht. Und es ist eine Aufgabe, der man sich in der Geburtsstätte Zürich nicht entzogen hat.

Nichts Zürcherisches

Zunächst hatte es im Stadtrat noch Gegenstimmen gegeben, die meinten, Dada sei doch eine Bewegung von Ausländern und Migranten gewesen, nichts genuin Zürcherisches. Da ist es nützlich zu wissen, dass in jener Zeit etwa ein Drittel der Zürcher Bevölkerung nicht autochthon – damals lebten in der Stadt viele Deutsche und Italiener – waren. Kurzum, man bekannte sich letztlich doch zu dem Erbe, bereitete sich, wie das in dieser Stadt nun einmal der Fall ist, umso gründlicher und gewissenhafter darauf vor und rief 2016 zum Dada-Jahr aus.

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Im Zunfthaus zur Waag verkündete Hugo Ball im Juli 1916 sein erstes dadaistisches Manifest.

Als Besucher kann man sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, wenn man sieht, mit welch Zwingli-calvinistischer Ernsthaftigkeit die Stadt an die anarchische, definitionsresistente Sache namens Dada herangeht. Auf Vernissagen sprechen Honoratioren wie die Stadtpräsidentin oder der Kulturminister über die Sache, und sie alle geben sich in ihren Reden ein klein wenig "verrückt".

Selbstverständlich ist der Stadttourismus voll und ganz auf Dada eingeschworen, es gibt Touren zu den wichtigsten Wirkungsstätten. Selbst die seriösen Festspiele Zürich, die am 3. Juni beginnen, haben sich heuer ein waschechtes Dada-Motto gegeben: "Zwischen Wahnsinn und Unsinn". (Harald Sager, 17.5.2016)