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Das Schicksal von Raoul Wallenberg beschäftigt die Welt bis heute.

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Eine Gedenkveranstaltung zu seinem 100. Geburtstag für Jugendliche 2012 in Berlin vor der Ankunft des Bundespräsidenten Joachim Gauck.

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Wallenbergs Halbschwester Nina Lagergren 2014 in Washington.

Foto: AP / Susan Walsh

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Eine 1997 herausgegebene US-Gedenkbriefmarke.

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Ein 2001 in Moskau eingeweihtes Denkmal.

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Ein undatiertes Porträt.

Foto: AP / Scanpix Sweden

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US-Präsident Barack Obama, wie er im September 2013 zu Ehren Wallenbergs einen Stein auf die Mauer der Stockholmer Synagoge legt.

Foto: AP / Claudio Bresciani

In der Geschichte des Zweiten Weltkriegs, der Millionen unschuldiger Menschen zu Opfern grausamen Unrechts machte, sticht sein Schicksal hervor: Der junge schwedische Industriellensohn und Diplomat Raoul Wallenberg rettete im Herbst und Winter 1944 zehntausende Juden im besetzten Budapest vor der Vernichtung durch das NS-Regime.

Doch statt Dank und Anerkennung zu erhalten, wurde er am 17. Jänner 1945 von sowjetischen Soldaten verhaftet und nach Moskau verschleppt; im Sommer 1947 erlischt seine Spur im berüchtigten Lubjanka-Gefängnis.

Wallenbergs Schicksal beschäftigt seit Jahrzehnten Historiker, Menschenrechtsaktivisten und führende Politiker in Europa und Nordamerika – auch, weil sein Schicksal und Tod bis heute ungewiss sind und weder die Sowjetunion noch das heutige Russland zur Aufklärung beigetragen haben.

Wie keine andere Persönlichkeit ist Wallenbergs Handeln und Tod mit den beiden großen Verbrecherregimes des 20. Jahrhunderts verknüpft. Und seine Causa bleibt ein Stachel im Fleisch des heutigen Russland, das durch seine Weigerung, die Wallenberg-Akten freizugeben, zumindest eine symbolische Nähe zum Stalinismus signalisiert.

Druck auf Moskau

Eine internationale Konferenz in Budapest soll kommende Woche den Druck auf Moskau erhöhen. Die zum 70. Jahrestag seiner Verhaftung gegründete Raoul Wallenberg Research Initiative (RWI-70) bringt Angehörige, Historiker, Juristen und andere Experten an einem runden Tisch zum Thema "Die Kunst des Unmöglichen" zusammen, um das Wissen über Wallenbergs Schicksal zu sammeln und die offenen Fragen an die russische Führung präzise zu formulieren.

Die Tagung wird von verschiedenen Institutionen und Persönlichkeiten unterstützt, darunter vom früheren tschechischen Außenminister Karel Schwarzenberg und dem englischen Bestsellerautor John Le Carré.

Die Teilnehmer erwarten keine Antworten aus Moskau, sagt Susanne Berger, eine ehemalige deutsche Journalistin in den USA, die seit mehr als 20 Jahren die Causa Wallenberg verfolgt.

Man wolle aber den öffentlichen Druck verstärken und Wege erforschen, über die russischen Gerichte an gewisse Dokumente heranzukommen, die nach russischem Recht freigegeben werden müssten, sagt Berger. Denn der russische Verfassungsgerichtshof habe 2013 entschieden, dass historische Akten nicht länger als 30 Jahre unter Verschluss bleiben dürfen.

"Wir machen uns keine Illusionen über die politische Situation in Russland", sagt Berger. "Aber gerade wegen dieser Schwierigkeiten müssen wir alles tun, damit sich die Tür zu einem konstruktiven Dialog mit russischen Archivisten und Beamten nicht völlig schließt." Deshalb suche man auch weder eine Konfrontation noch Schuldzuweisungen, sondern konkrete Lösungen.

Ungelöste Fragen

Denn Berger und ihre Mitstreiter sind überzeugt, dass die Antworten in russischen Archiven, vor allem des Geheimdienstes FSB, zu finden sind. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 gingen die Türen für westliche Historiker, die Ereignisse in der Stalin-Ära erforschen wollten, für einige Jahre auf, schlossen sich allerdings bald wieder.

Das gilt auch für das Massaker von Katyn an tausenden polnischen Offizieren im Frühjahr 1940, dessen Hintergründe nie geklärt werden konnten.

Die ungelösten Fragen im Fall Wallenberg sind zahlreich. Das beginnt mit seiner Verhaftung in Budapest, die wahrscheinlich auf Stalins Befehl geschah. Wallenberg war im Juli 1944 als Sondergesandter der schwedischen Botschaft nach Budapest gekommen, um in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen War Refugee Board Juden zu retten.

Er stellte Schutzpässe aus und richtete Häuser ein, die als staatliche schwedische Einrichtungen deklariert wurden. Und er sorgte für die Lebensmittelversorgung in dem von den NS-Besatzern eingerichteten Budapester Ghetto. Zehntausende Juden verdanken seinem Einsatz das Überleben.

Seine Zusammenarbeit mit den USA, wahrscheinlich auch mit den Geheimdiensten, machte Wallenberg allerdings in den Augen der Sowjets suspekt, ebenfalls seine Kontakte zum nichtkommunistischen ungarischen Widerstand.

"Er war das Mitglied einer prominenten kapitalistischen Familie, und er war in Pläne für die Restitution von jüdischem Eigentum in Ungarn involviert", beschreibt Berger weitere mögliche Gründe, warum er verhaftet wurde, als er kurz vor der Befreiung Budapests durch die Rote Armee den Kontakt zu sowjetischen Truppen suchte.

Todesursache "Herzinfarkt"

Wallenberg wurde ins Lubjanka-Gefängnis nach Moskau gebracht, wo er kurze Zeit mit einem deutschen Gefangenen eine Zelle teilte. Am 8. März 1945 meldete das sowjetisch kontrollierte Radio in Ungarn seinen Tod auf der Straße nach Debrecen, angeblich durch Pfeilkreuzler. Doch 1957 gaben die Behörden bekannt, dass Wallenberg tatsächlich am 17. Juli 1947 in seiner Moskauer Zelle gestorben war – an einem "Herzinfarkt". Er wurde ohne Autopsie kremiert.

Doch auch an dieser Version gibt es massive Zweifel. Denn am 22. und 23. Juli 1947 fand laut Dokumenten ein Verhör des "Gefangenen Nr. 7" statt, der mit dem Fall Wallenberg in Verbindung stand und sogar nach Einschätzung mancher russischer Vertreter wahrscheinlich Wallenberg selbst war. Die offizielle Version kann demnach nicht stimmen – ebenso wenig die berichtete Todesursache.

Bis in die 1980er-Jahre tauchten immer wieder Berichte auf, dass Wallenberg in sowjetischen Lagern gesichtet wurde. Das sei sehr unwahrscheinlich, sagt Berger, man dürfte ihn mit anderen gefangenen Schweden verwechselt haben. "Aber damit man diese Spekulationen beenden kann, brauchen wir endlich Zugang zu objektiven Dokumenten." Dann könnte man die Frage beantworten, warum Stalin damals offenbar seine Ermordung angeordnet habe.

"Warum hat Stalin ihn damals nicht freigelassen, er machte doch mehr Probleme, als er wert war", sagt Berger. "Es wäre so interessant zu wissen, wie Stalin die Sache sah." Doch offenbar fürchten die Russen bis heute jede Offenlegung, die dem Ansehen des Geheimdienstes schaden könnte.

Erschwerend kommt dazu, dass damals auch aus Schweden keine Hilfe für den berühmten Sohn kam, selbst nicht von seiner vermögenden und einflussreichen Familie. "Im größeren Familienverband galt er als Störenfried, und die Schweden wollten ihren großen Nachbarn nicht verärgern", beschreibt Berger mögliche Gründe.

2001 entschuldigte sich der damalige Premier Göran Persson bei der Familie für diese Versäumnisse, allen voran bei Wallenbergs Halbschwester Nina Lagergren, die bis heute für sein Andenken kämpft – auch mithilfe ihres Schwiegersohns Kofi Annan, dem früheren UN-Generalsekretär.

Akten unter Verschluss

Auch die US-Regierung setzte sich nach dem Krieg nur wenig für Wallenberg ein, sondern überließ den Kampf für seine Freilassung den Schweden. Selbst heute bleiben Geheimdienstakten in den USA, die Aufschluss über Wallenberg geben könnten, unter Verschluss, ebenso in Ungarn, Schweden, Israel und Großbritannien, klagt Berger. Dafür hat Wallenberg in der amerikanischen Holocaust-Gedenkpolitik eine zentrale Rolle inne, als einer der größten Helden des 20. Jahrhunderts.

Berger und ihre Mitstreiter sehen in der Causa Wallenberg auch einen exemplarischen Fall für das Recht von Angehörigen auf Aufklärung von politischen Verbrechen. "Hier geht es um ein grundsätzliches Menschenrecht, um Opferrechte."

Die Suche nach der Wahrheit hat der Familie viel Leid zugefügt. Wallenbergs Mutter und Stiefvater starben beide 1979 durch Selbstmord, wohl auch aus Verzweiflung über ihren verschollenen Sohn. Sein Halbbruder, der CERN-Physiker Guy von Dardel, verbrachte Jahrzehnte mit der vergeblichen Suche nach Dokumenten.

Eines Tages werde sich Wallenbergs Schicksal aufklären lassen, ist Berger überzeugt. "Ob es in unserer Lebenszeit noch geschieht, weiß ich nicht. Aber wenn Menschen die Wahrheit suchen, dann werden sie sie irgendwann finden." Die Tagung in Budapest soll diesen Tag etwas näherbringen. (Eric Frey, 14.5.2016)