Wien – Die Leidensfähigkeit aus der Ersten Welt kommender junger weißer Männer aus dem privilegierten (allerdings zügig erodierenden) Mittelstand ist durch die Zeiten schon erstaunlich. Wir fürchten uns zwar vor der Betäubungsspritze beim Zahnarzt mehr als bei Mittelrot zügig über die Ampel zu fahren und dabei dem Tod ins Auto zu blicken – aber wehe das Ego wird gekränkt oder Gesichtsverlust droht.
Mein Baby droht mich zu verlassen, die veganen Knödel waren nur lauwarm, und die Hanfschlapfen sind vertauscht bei der Wohnungstür gestanden, als ich mit dem Pinarello-Vintage-Rennrad heimgekommen bin, das ein mindestens um 20 Gramm zu schweres Vorderlicht hat. Von den Pedalen rede ich jetzt gar nicht, Brudi. Buhu, Rabäh und Mimimi.
Der 27-jährige britische Hingabe- und Selbstaufgabekünstler James Blake hat diesbezüglich das Rad sicher nicht neu erfunden. Allerdings ist er bezüglich der Bereitschaft, sein seelisches Feuchtbiotop mit Schnäuztücheln als Segeln zu umschiffen, nach aktuelleren Heulbojen wie dem Sänger von Muse oder Thom Yorke von Radiohead ganz vorne mit dabei.
Gleich zu Beginn des neuen, absolut unbemerkt von Rick Rubin produzierten Albums The Colour in Anything geht es programmatisch zu Sache. Die als sensible Klage getarnte, vorwurfsvolle Kernaussage der verhuscht über einem stoischen Verschleppungsbeat hingetupften Pianoballade Radio Silence lautet: "I can't believe this / You don't wanna see me."
Eine schwere Partie
Mit diesem im Grundton Rentnerbeige nach 30 Jahren Hassehe gehaltenen Lied wird man bei Frauen, die einen auch aus diesem Grund endlich verlassen haben, zwar keinen Eindruck, geschweige denn Einsicht schinden können. Aber die 18 Zufallsbekanntschaften an der Bar helfen einem sicher gern beim Einwassern als toller Hecht. Auseinandergehn ist schwer, wenn du besoffen bist, redest du immer nur von ihr, die letzte Nacht war eine schwere Partie für mich. Ham kummst – aber da ist ja niemand mehr!
Was man im zeitgenössischen Austropop gerade mit Wanda oder Seiler & Speer als wehleidige Konstante männlicher Selbstbehauptung erlebt, geht natürlich auf Englisch und mit Campari statt Rüscherl und Bonanza leichter durch. Man muss bei einer Fremdsprache nicht so genau hinhören.
James Blake, der triste Held der von den tiefen Bassfrequenzen des Dubstep ebenso wie von Soul oder Juwelier- und Gucci-R-'n'-B inspirierten akustischen Wimmerkunst, trägt unter dem Signum der blauen Blume der Romantik heimtückische Sätze vor: "Es ist traurig, dass du nicht mehr so bist, wie du früher warst ..."
Gleich unter dem Watschenbaum pochen und klagen dazu minimalistische, verhallte Keyboardarrangements und mit Autotune verfremdete Falsettstimmen. "Ich weiß, dass es Männer gibt, die noch schlimmer sind als ich." Auf dem hingehuschten Cover des Albums steht unser feinfühliger junger Mann im ewigen Regen. Das ist nicht nur England, das ist ein existenzielles Gefühl. Rechts ist ein windschiefes Marterl zu sehen, links hängt eine nackte Frau mit gespreizten Beinen in Kreuzigungspose verkehrt herum auf einem Baum.
Was uns James Blake damit sagen will, während wir diese weltweit in sämtlichen Trendsportpostillen heftig akklamierten, gut mit vermeintlicher Seele und Herzblut getarnten Wehleidigkeiten hören, wollen wir lieber nur erahnen. Diese Woche war eine schwere Partie für uns. Baby hat uns verlassen – und die Welt liegt sowieso immer im Argen. (Christian Schachinger, 14.5.2016)