"Toni Erdmann"

Foto: Festival de Cannes

"Toni Erdmann"

Foto: Festival de Cannes

Bild nicht mehr verfügbar.

"The BFG"

Foto: AP/Doane Gregory

Ein Spaß muss doch wohl noch erlaubt sein. In der ersten Szene von Toni Erdmann wird ein Paketbote an der Nase herumgeführt. Der Empfänger Winfried öffnet gleich zwei Mal die Tür, einmal als er selbst, einmal als sein angeblicher Bruder, mit vorstehendem Gebiss, doofen Brillen und lockerem Spruch auf der Lippe. Experte für Briefbomben und für ihre Entschärfung sei er oder so ähnlich.

Witze wie diesen, in eher läppischer Verkleidung, mit Hang zur Peinlichkeit, macht der allein lebende Mann öfters. Seine Tochter Ines ist eine erfolgreiche Geschäftsfrau bei einer Unternehmungsberatung in Bukarest. Die Beziehung zwischen den beiden leidet unter der räumlichen Distanz. Sehen sie einander, verfehlen sie einander. Sie dringen nicht zum jeweils anderen durch. Da ergreift Winfried die Initiative, taucht plötzlich in Bukarest bei Ines in der Firma auf und gibt sich als kauziger Coach namens Toni Erdmann aus.

Der lang erwartete neue Film der deutschen Regisseurin Maren Ade (Alle anderen), eine deutsch-österreichische Koproduktion, erhielt bei der Pressevorführung in Cannes mehrmals begeisterten Szenenapplaus. Einmal, als Winfried Ines dazu zwingt, beim Geburtstagfest einer ihr fremden Familie als "Whitney Schnuck" The Greatest Love of All zu singen. Es ist eine fulminante Szene, die eigentlich den ganzen Film enthält: das enge, aber schwierige Verhältnis zwischen Vater und Tochter, die Notwendigkeit, im Beruf in einer professionellen Rolle zu genügen und auch unter erschwerten Bedingungen vor Publikum zu bestehen, schließlich die Freiheit, die in der Überschreitung einer Grenze liegt – all das fließt hier aufs Schönste ineinander.

Simonischek und Hüller grandios

Mit Sandra Hüller und Peter Simonischek hat Ade zwei Ausnahmeschauspieler in den zentralen Rollen, die sich wechselseitig zu Höchstleistungen motivieren. Die Dialoge sind hintergründig, oft launig, die Konstruktion des Geschehens ist raffiniert, weil die vielen Szenen über die Bande gespielt werden. Damit Vater und Tochter ihre Blockade überwinden können, müssen sie erst in eine spielerische Auseinandersetzung eintreten, in der mal der eine, mal die andere die Führungsrolle spielt. Dabei wandelt sich der Blick. Wie Ade diesen Familienkonflikt in die streng reglementierte (und ritualisierte) Arbeitswelt einbaut, ist nicht nur aufschlussreich und klug, sondern auch unglaublich unterhaltsam. Ein erster klarer Favorit für einen der Preise des Festivals.

Riese mit abstehenden Ohren

Ein Duo mit im doppelten Sinn großer Aura steht auch in Steven Spielbergs Roald-Dahl-Adaption The BFG im Mittelpunkt. Die zehnjährige Waise Sophie macht eines Nachts die unheimliche Bekanntschaft eines Riesen (Oscar-Preisträger Mark Rylance im Motion-Capturing Kostüm mit riesigen Ohren), der sich auf den zweiten Blick als leutselig und freundlich entpuppt. Vor allem spricht er ein herrlich verstelltes Englisch, das immer schon seine Gemütsverfassung enthält.

Spielbergs Rückkehr zum Familienfilm hat mit seinem gewinnenden Zentrum die Vorzüge eines fast altmodischen wirkenden Fantasy-Abenteuers. Der Schwerpunkt liegt auf den Charakteren. Mithilfe digitaler Technologie werfen aber auch die Größenunterschiede gelungene Schauwerte ab, die sich mit wenigen Settings begnügen. Außerdem macht Spielberg aus dem England von Roald Dahl kein globales Niemandsland, sondern treibt selbst noch mit der Queen seinen Spaß; inklusive gefährlicher Gasen, die sich nach dem Konsum grünlichen Riesensprudels einstellen. (Dominik Kamalzadeh, 14. 5. 2016)