Wien – Politisch verbindet Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer wenig. In einem Punkt sind sie sich aber einig: Die Regierung müsse rasch handeln, um die Rekordarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Nach einem Sieg bei der Präsidentschaftswahl würden sie den Kanzler sofort einbestellen, um über Schritte zu beraten, so die Kandidaten unisono.
Hofer sagte bei einer Puls-4-Debatte sogar, dass er erwäge, die Regierung zu entlassen, "wenn Österreich weiter leidet, weil die Arbeitsmarktdaten schlechter werden". Sechs bis zwölf Monate würde er zuwarten, länger nicht.
Aber welche Optionen hat die Regierung unter dem designierten Kanzler Christian Kern (SPÖ)? Worüber könnten Hofer oder Van der Bellen mit ihm beraten? Der STANDARD hat bei Arbeitsmarktexperten nachgefragt.

1. Mehr in Straßen, Schienen und Brücken investieren
Das Wirtschaftswachstum in Österreich liegt seit vier Jahren unter einem Prozentpunkt – viel zu wenig, um ausreichend Jobs zu schaffen. Ökonomen empfehlen in einer solchen Situation gern ein Gegensteuern durch höhere Ausgaben, also Geld in die Hand zu nehmen, um das Straßennetz auszubauen oder den Wohnbau zu forcieren. Bedarf gäbe es, sagt der Ökonom Helmut Mahringer vom Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo, etwa in Wien, wo die Bevölkerung wächst.
Aber wie viel Beschäftigung bringen große Infrastrukturprojekte? So wie vor 30 Jahren ist es nicht mehr. Vieles, was früher händisch gemacht wurde, erledigen heute Maschinen.
Wifo und Joanneum Research haben ein Computermodell entwickelt, mit dem sie die Folgewirkungen verschiedener Ausgabenerhöhungen simulieren. Eine Milliarde Euro zusätzlich für Straßen-, Schienen- oder Brückenbau führt demnach zu 13.000 neuen Stellen in Österreich.
Allerdings kommen nicht alle Jobs Arbeitslosen zugute. Gerade in Ostösterreich ist es üblich, am Bau Dienstleister aus Ungarn oder Polen zu beschäftigen. Zudem bewerben sich auch Menschen um Jobs, die gar nicht arbeitslos gemeldet waren. Netto reduziere eine Infrastrukturmilliarde die Arbeitslosigkeit daher "nur" um rund 6200 Personen. Ähnlich wirkungsvoll sind laut den Wifo-Berechnungen Mehrausgaben für Gesundheit, Pflege und Bildung (6100 Personen je Milliarde). Doch angesichts von 425.000 Arbeitslosen müsste die Regierung viel Geld ausgeben, um spürbare Effekte zu erzielen.
Im Rahmen der EU hat sich Österreich verpflichtet, seine Neuverschuldung einzubremsen. Der Spielraum ist für die kommenden Jahre ausgereizt. Hinzu kommt, dass das schwache Wachstum die Arbeitslosigkeit verfestigt hat: Wer lang keinen Job bekommt, findet schwer in den Arbeitsmarkt zurück. Das betrifft in Österreich immer mehr Menschen. Um das Potenzial von Infrastrukturinvestitionen ausschöpfen zu können, müssten Förderungen für Arbeitslose ausgebaut werden, sagt Mahringer. Sein Fazit: Arbeitsmarktmilliarden blieben nicht folgenlos, sind aber keine Wunderwaffe.
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2. Das Steuersystem umbauen
Viele Ökonomen fordern einen Umbau des Steuersystems. Der Faktor Arbeit gilt in Österreich als zu hoch belastet. Die Idee: Geringere Lohnnebenkosten würden dazu führen, dass Unternehmer mehr Menschen einstellen.
Um eine Entlastung zu finanzieren, schlägt die Ökonomin Margit Schratzenstaller unter anderem vor, Steuern auf Grund und Boden zu erhöhen und die Erbschaftssteuer wiedereinzuführen. Sie plädiert auch für ökologische Reformen, so könnte der Steuerbonus für Diesel fallen. Ökonom Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien mahnt dagegen Einsparungen bei der Verwaltung ein.
Wifo und IHS betonen jedoch, dass ihre Vorschläge längerfristig wirken. Kurzfristig wären die Effekte überschaubar. Die Senkung der Lohnnebenkosten um eine Milliarde Euro schafft laut IHS 7000 und laut Wifo 4000 Arbeitsplätze im ersten Jahr. Eine Milliarde Euro treibt man zudem nicht leicht auf: Eine Besteuerung von Erbschaften (25 Prozent, Freibetrag bis eine Million Euro) würde pro Jahr Mehreinnahmen von "nur" 650 Millionen Euro bringen.
Diese Erwägungen sprechen nicht gegen Reformen, so Hofer und Schratzenstaller. Aber wer Arbeit wirklich billiger machen will, muss große Veränderungen vornehmen. Schnelle Wundermittel gibt es auch hier nicht.
3. Bürokratie entrümpeln
Gern gefordert wird eine Entbürokratisierung. Ulrich Schuh vom Institut Eco Austria sagt, dass der Bürokratieaufwand für Unternehmer in Österreich in den vergangenen Jahren gestiegen sei. Ein Abspecken der Regeln würde das Alltagsleben erleichtern. "Aber Evidenz dazu, wie sich Vereinfachungen auf den Jobmarkt auswirken, gibt es nicht", so Schuh, der hier in puncto Arbeitsmarkt wenig Potenzial sieht.
4. Arbeitsmarkt dichtmachen
Die FPÖ beklagt, dass Migration Grund für die Probleme ist. "Österreich zuerst" müsse auch am Arbeitsmarkt gelten, fordert etwa Hofer. Bringt also eine Abschottung etwas? Nein, sagt dazu Mahringer. Österreich habe sich der EU-Integration verschrieben und könne keine Rosinen picken. Sprich: Wer die freien Waren- und Kapitalmärkte Europas will, kann den Arbeitsmarkt nicht abschotten. Hofer vom IHS sagt, dass viele Ungarn, Polen und Tschechen schlechter bezahlte Jobs erledigen, die Österreicher gar nicht annehmen würden. "Zu glauben, jede freie Stelle komme einem Einheimischen zugute, ist eine Mär", so Hofer. Nachsatz: Auch nicht jeder sei ersetzbar. "Wenn ein chinesischer Koch in Tirol mit einer arbeitslosen Schuhverkäuferin aus Österreich ersetzt wird, ist das keine passable Antwort."(András Szigetvari, 15.5.2016)