Das Observatorium auf dem 3.106 Meter hohen Sonnblick besteht seit 130 Jahren.

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Mit der neuen Leiterin Elke Ludewig soll die Forschung vernetzter und internationaler werden.

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STANDARD: Sie sagen, dass Sie schon als Kind vom Sonnblick fasziniert waren. Ist der Job als Leiterin des Sonnblick-Observatoriums ein Karriereziel, das sie schon immer angestrebt haben?

Ludewig: So kann man das nicht sagen. Es war eine glückliche Fügung, dass die Position gerade jetzt frei geworden ist. Da war es für mich ein Muss, mich zu bewerben. Natürlich hatte ich immer einen Bezug zum Sonnblick und kenne die Daten des Observatoriums sehr gut.

STANDARD: Sie waren zuletzt über ein Jahr lang in der deutschen Neumayer-Polarforschungsstation in der Antarktis und haben dort auch überwintert. Wie war es, dort zu leben?

Ludewig: Es war eine spannende und faszinierende Erfahrung. Wenn die Sonne schien, gab es Halos, also Lichteffekte wie Nebensonnen im Umkreis der Sonne, die man den ganzen Tag über sehen konnte. In der durchgehenden Dunkelheit der Polarnacht gibt es etwa einen unglaublichen Sternenhimmel. Man konnte die Satellitenkonstellationen am Himmel wie Flugzeuge verfolgen. Nahe der Neumayer-Station liegt die Atkabucht, die zugefroren war. Dort siedelt eine Kaiserpinguinkolonie, die wir das ganze Jahr über beobachten konnten.

STANDARD: Gibt es so etwas wie einen Lagerkoller?

Ludewig: Mit einem Team so lange zu arbeiten und gemeinsam "eingesperrt" zu sein war eine kleine Herausforderung, aber auch lehrreich. In der Überwinterungszeit waren wir neun Leute. Lagerkoller gab's bei uns nicht. Bei den verschiedenen Überwinterungsgruppen läuft es einmal gut, einmal weniger. Wir hatten Glück und haben uns gut zusammengerauft.

STANDARD: Gab es auch gefährliche Situationen?

Ludewig: Die größte Gefahr ist die Kälte. Man muss aufpassen, keine Erfrierungen im Gesicht zu erleiden – etwa bei Meereismessungen, bei denen wir mehr als zwölf Stunden bei minus 40 Grad unterwegs waren. Eine andere Gefahr sind Whiteouts, wenn bei Stürmen Schnee aufgewirbelt wird und man kaum noch die Hand vor Augen sieht. Alles ist weiß. Man weiß nur dank der Schwerkraft, wo oben und unten ist, und muss aufpassen, dass man nicht verlorengeht. Darum gibt es Sicherheitsbestimmungen, wonach man ständig mit GPS und Funkgerät draußen sein muss. In einem Radius von 1,5 Kilometern um die Station darf man sich allein bewegen, außerhalb dieser Zone muss man zu zweit sein.

STANDARD: Wie sah Ihre Arbeit als Leiterin des meteorologischen Observatoriums aus?

Ludewig: In dem Bereich wird alle drei Stunden eine synoptische Wetterbeobachtung durchgeführt und Daten wie Wolkenart, Bedeckungsgrad, Sichtweite oder Schneedrift werden aufgezeichnet. Gemeinsam mit Druck-, Feuchte-, und Temperaturdaten werden sie an den Deutschen Wetterdienst verschickt und fließen in das globale Wetternetz GTS ein, um für Vorhersagen zur Verfügung zu stehen. Radiosonden wurden gestartet, um Atmosphärenprofile zu machen und die Veränderungen des Ozongehalts in der oberen Atmosphäre vorherzusagen. Daneben gab es einen Vorhersage- und Wetterwarnungsbetrieb für die Station selbst, damit man weiß: Kann ich raus oder nicht? Nachdem so wenige Leute vor Ort sind, arbeitet man aber auch in den anderen Bereichen der Station mit, dem geophysikalischen und dem luftchemischen Observatorium.

STANDARD: Wird neben der Datenerhebung auch vor Ort geforscht?

Ludewig: Im Observatoriumsbetrieb zählen zuallererst Datenqualität und -quantität. Auswertungen im Bereich der Klimaforschung sind eher rar. Es werden ein paar Analysen auf Anfrage gemacht. Für mehr fehlt die Zeit, weil man auf so viele Dinge achten muss.

STANDARD: Wo liegen Parallelen zwischen der Arbeit auf dem Sonnblick und jener in der Antarktis?

Ludewig: Das Monitoring ist sehr ähnlich, gerade was die Wetterbeobachtung angeht. Der Sonnblick ist genauso wie die Neumayer-Station eine exponierte Lage, in der man in einem von Menschen noch nahezu unberührten Raum Messungen vornehmen kann.

STANDARD: Wie viel Zeit werden Sie auf dem Sonnblickgipfel verbringen?

Ludewig: Ich plane, einmal pro Woche oben zu sein, was aber auch davon abhängig ist, ob das Wetter eine Fahrt mit der Gondel – eine Materialseilbahn, mit der auch das Observatoriumspersonal mitfahren kann – erlaubt.

STANDARD: Der Forschungsstandort soll ausgebaut und vernetzt werden. Was bedeutet das konkret?

Ludewig: Die Lage der Station bietet wahnsinniges Potenzial. Man muss sich ansehen, wer was macht. Wissenschafter blicken oft sehr zielorientiert auf ihr Projekt und haben so oft nicht die Möglichkeit interdisziplinär zu arbeiten. Können etwa die Glaziologen und die Atmosphärenforscher fachübergreifend arbeiten, um das Erdsystem besser zu erfassen und Interaktionen zu erklären? Was mit dem Niederschlag am Boden ankommt, ist auch in Schnee und Eis drinnen. Man muss versuchen, ein interdisziplinäres Projekt an Land zu ziehen, um die beiden zusammenzubringen. Meine Aufgabe ist es, zu koordinieren und zu sehen, was man alles aus dem Sonnblick rausholen kann.

STANDARD: Was bringt der neue Status des Sonnblick-Observatoriums als globale Station des Global-Atmosphere-Watch-Programms (GAW) der Weltmeteorologischen Organisation (WMO)?

Ludewig: Im Rahmen des globalen GAW-Netzes werden spezielle atmosphärische Parameter erfasst, etwa Ozon, Treibhausgase, Aerosole. Viele der Daten sind wichtig für die Klimawandelforschung. Der Status bedeutet, dass eine gewisse Datenqualität erreicht wurde. Instrumente wurden in spezieller Weise kalibriert, die Daten werden in eigene Datenbanken eingespeist und beispielsweise für Beratungen bezüglich klimapolitischer Maßnahmen verwendet. Zurzeit gibt es weltweit etwa 40 dieser Stationen. Es ist ein besonderer Status und eine Ehrung, kostet aber auch so einiges.

STANDARD: Geht sich neben dem Managen des Forschungsstandorts auch noch eigene wissenschaftliche Arbeit aus?

Ludewig: Dazu muss man sich Zeit nehmen. In der Neumayer-Station musste man sich voll darauf konzentrieren, dass das Monitoring funktioniert. Wenn dort ein Gerät kaputtging, hat es oft Stunden gedauert, nur eine Schraube zu wechseln. Das ist auf dem Sonnblick anders.

STANDARD: Sie sind eine junge Führungskraft in einer sehr traditionsreichen Institution. Was bedeutet diese Tradition für Sie?

Ludewig: Auf dem Sonnblick werden seit 130 Jahren meteorologische Daten gesammelt. Das Observatorium ist aber auch ein Forschungsbetrieb, der seit dem Beginn mit der Zeit gehen musste und das auch in Zukunft tun wird. Deshalb sehe ich keine Probleme, wenn weitere Veränderungen stattfinden. (Alois Pumhösel, 19.5.2016)