In einem alten Gewölbekeller mitten in Wien-Brigittenau wachsen seit einiger Zeit die köstlichsten Austern- und Limonenseitlinge. Betritt man das Souterrain über die schmale Steinstiege, steht man zwischen unzähligen von einem Gerüst hängenden Säcken, aus denen die muschelförmigen Fruchtkörper der Schwammerln ragen. Manuel Bornbaum und Florian Hofer züchten hier Speisepilze, die im Sud aus gemahlenem Kaffee wachsen.

Das Konzept ist so simpel wie genial, ist der Satz doch eigentlich ein Abfallprodukt. "Wir holen den Kaffeesatz teilweise selbst mit dem Lastenrad ab. Einen Großteil bekommen wir von den Lieferanten, die Altersheime in Wien beliefern. Das sind dann um die 800 Kilogramm Kaffee pro Woche, der bei uns noch mit Kalk gemischt wird, um den passenden pH-Wert zu erhalten. Zur Lockerung mischen wir Kaffeehäutchen hinzu, ein Abfallprodukt der Kaffeebohne, das bei der Röstung entsteht. Danach wird die Mischung mit Pilzmyzel geimpft, das den Kaffee besiedeln soll. Am Schluss füllen wir alles in die Säcke. Nach vier bis fünf Wochen geht dem Pilz der Lebensraum aus, und der Überlebensmechanismus, also die Fruchtkörperbildung, wird ausgelöst", erklärt Hofer.

In einem Keller in Wien-Brigittenau bauen Florian Hofer (links) und Manuel Bornbaum Pilze an und verkaufen diese vor allem an die Gastronomie. hutundstiel.at
Foto: Christian Benesch

Schwammerln für die Stadt

Die Idee zur Pilzzucht entstand während eines Uni-Projekts. Nach einem Praktikum bei einem Betrieb in Rotterdam und einer Generalsanierung des Kellers haben die beiden Unternehmer schließlich ihr Unternehmen "Hut und Stiel" in Wien gegründet. Mittlerweile beliefern sie Spitzenrestaurants wie das Steirereck im Stadtpark oder das Motto am Fluss mit ihren Seitlingen. "Am Anfang haben wir Milchkübel, die von den Molkereien nicht zurückgenommen werden, verwendet. Leider haben sich diese aber als nicht sehr praktikabel erwiesen. Es ist schwierig, die Kübel zu reinigen", sagt Bornbaum. Jetzt verwenden sie vorperforierte Plastiksäcke. Diese seien einfacher in der Handhabung. Pilzsporen treten in Wiener Kellerräumen zwar sicher vermehrt auf, diese sind aber meistens gesundheitsschädlich und nicht für den Verzehr geeignet.

Ganz anders verhält es sich da beim städtischen Gemüse. In Wien gibt es über 200 Gemüseanbaubetriebe. Rund 17 Prozent der gesamten Landesfläche werden landwirtschaftlich genutzt. Laut Landwirtschaftskammer sei die Ostregion aufgrund ihrer milden klimatischen Bedingungen eines der besten Gemüseanbaugebiete Europas. Im letzten Jahr wurden in der Bundeshauptstadt über 63.000 Tonnen Gemüse produziert. Die Gurke ist dabei der unangefochtene Verkaufsschlager.

Um überleben zu können, schadet es aber nicht, als Gemüsegärtner sein Alleinstellungsmerkmal zu finden. Der Wiener Georg Kölbl hat vor zehn Jahren begonnen, Chilis anzubauen, und wusste damals gar nicht, ob diese überhaupt irgendjemand je kaufen würde. Heute baut der Gärtner auf 4000 Quadratmetern Sorten wie Pimiento de Padrón, Furila oder die extrem scharfen Carolina Reaper mit rund zwei Millionen Scoville an. "Wir verkaufen 30 bis 35 Tonnen Chilis im Jahr. Die Nachfrage wird jedes Jahr größer", erzählt Kölbl stolz, während er für das Foto in einen Chili beißt und, dem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, eine der ganz scharfen erwischt hat. Sein Chilihof ist einer der letzten Gemüsebetriebe in Wien-Donaustadt. "Früher war hier ein typisches Anbaugebiet. Da waren es bis zu 100 Gärtner in Breitenlee. Heute sind wir zu zweit". Viele Äcker und Gemüsefelder mussten Hochhäusern und Gewerbegebieten weichen.

Georg Kölbl baut auf seinem Chilihof in Wien-Donaustadt auf 4.000 Quadratmetern Chilis an. 90 Prozent seiner Ernte verkauft er an die Genossenschaft der LGV Frischgemüse. chilihof.at
Foto: Christian Benesch

Der Stadt ihren Honig

Weniger die Hochhäuser, vielmehr ein ungebetener Gast sorgte dafür, dass in Österreich tausende Imker das Handtuch geworfen haben. "Als damals die Varroamilbe nach Europa importiert wurde, wusste man noch nicht, wie man der Plage Herr würde. Da haben viele Bienenzüchter aufgehört", erzählt Alfred Hauska.

Der Imkermeister betreut unter anderem die Bienenvölker auf dem Dach des Wiener Rathauses und schwärmt von seinem Stadthonig. "Die Bienen finden in Wien die herrlichsten Blüten für ihren Honig. Hier rund um das Rathaus stehen beispielsweise einige Kastanienbäume. Waldhonig ist hingegen etwas komplett anderes. Hier entsteht der Honig nicht aus Blütennektar, sondern aus Honigtau, einer Masse, die unter anderem von Blattläusen ausgeschieden wird", erklärt Hauska, der auch seinen Schwiegersohn Michael Drachsler mit dem Bienenvirus infiziert hat.

Imkermeister Alfred Hauska (rechts) und Michael Drachsler betreuen neben den Bienenstöcken auf dem Dach des Rathauses unzählige weitere Völker in Wien. madebybees.at
Foto: Christian Benesch

Während der Schwiegervater über die Wichtigkeit der Stadtbienen referiert, wird Drachsler von einer solchen gestochen. Sofort ist das Volk in Alarmbereitschaft und setzt ebenfalls zum Stechen an. "Wenn eine Biene gestochen hat, gibt sie Pheromone ab, die andere Bienen verleiten soll, auch anzugreifen", erklärt Drachsler, während er kräftig Rauch in den Bienenstock bläst. Das Gemisch aus Waldkräutern soll die Bienen wieder beruhigen. In Wien findet man hauptsächlich die Carnica, die Kärntner Biene. Sie sei fleißiger im Sommer und sparsamer im Winter als ihre Artgenossen. Wer sich dazu entschließt, Bienen in der Stadt zu züchten, bekommt ausreichend Unterstützung von Vereinen und vom Landesverband für Bienenzüchter.

Schneckenmetropole

Andreas Gugumuck betreut in Wien-Favoriten zwar auch ein paar Bienenvölker, sein Hauptaugenmerk liegt aber auf wesentlich behäbigeren Tieren. Auf dem riesigen Anwesen am Stadtrand züchtet er Weinbergschnecken. Diese gelten seit je, auch in Österreich, als Delikatesse. Mit seiner Marke "Wiener Schnecke" will er die kleinen Tiere, die man meistens gratiniert mit Kräuterbutter isst, wieder hip machen. "Vor ein paar Jahren habe ich im Zuge meiner Recherche Gerd Sievers' legendäres Schneckenkochbuch entdeckt. Da bin ich daraufgekommen, dass Wien früher eine weltweite Schneckenmetropole war. In Wien hat man mehr Schnecken gegessen als in Paris. Es gab sogar einen eigenen Schneckenmarkt vor der Peterskirche im ersten Bezirk", sagt Gugumuck.

Er verkauft die Schnecken der Gattung Helix Pomatia und Helix Aspersa Maxima an die Gastronomie und an Kunden, die diese Delikatesse zu schätzen wissen. Außerdem bietet er, gemeinsam mit Küchenchef Domimik Hajduck eigene Schneckenmenüs an. Früher habe er die Gläser komplett mit Etiketten beklebt und sogar Karottenchips eingefüllt. Schließlich sei der Anblick für viele nicht sehr ansehnlich. Jetzt gewährt er dem Kunden freie Sicht auf das Getier, das es im Gemüsefond, mit Balsamico-Zwiebel oder als Erdäpfelgulasch gibt. Als besondere Comestibles erzeugt Gugumuck Schneckenkaviar und -leber. Die Idee für die Schnecken kam dem Züchter beim Lesen eines Zeitungsartikels, in dem es um einen österreichischen Koch ging, der mit Schnecken kochte.

Andreas Gugumuck züchtet Weinbergschnecken und will demnächst eine Future-Farm auf seinem Grund in Wien-Favoriten gründen. wienerschnecke.at
Foto: Christian Benesch

Zur richtigen Zeit

"Ich hatte natürlich Glück, weil der Hof meiner Familie gehört. Keine Bank hätte mir Geld gegeben, weil es damals keinen Markt für Schnecken gab. Ich bin also einfach auf den Acker gegangen und habe vier Holzpflöcke in die Erde geschlagen. Das war der Beginn der Schneckenfarm", erzählt Gugumuck und hebt ein Brett auf, unter dem es sich unzählige Schnecken gemütlich gemacht haben. Sie mögen es gerne schattig, um nicht auszutrocknen. Zum Schlachten seien diese Exemplare aber noch zu klein. Doch wie schlachtet man Schnecken?

Nach dem Einsammeln werden die Tiere in einer Kiste entlüftet – so nennt man den Vorgang, wenn man ihnen in einem trockenen Raum die Feuchtigkeit entzieht. Die Schnecken schlafen dann in ihren Häusern, um Energie zu sparen. Erst dann werden sie gekocht. Gugumuck ist der ethische Umgang mit den Tieren wichtig. Das gilt eben auch für Schnecken.

Der umtriebige Landwirt hat neben seinen Schnecken noch viele weitere Ideen für den Hof. So soll demnächst auf dem Gelände ein Bieneninnovationszentrum und eine Art Future-Farm entstehen. Damit will Gugumuck herausfinden, wie man Menschen in Zukunft in der Stadt nachhaltig ernähren kann. Sogenannte Permakulturen funktionieren in vielen Großstädten bereits hervorragend. Es wird Zeit, dass Wien hier nachzieht. Dank innovativer Projekte muss man vielleicht bald vieles, was tausende Kilometer zu uns transportiert wird, nicht mehr kaufen. Dass diese Produkte ihren Preis haben werden, liegt auf der Hand. Aber welchen Preis sind wir bereit zu zahlen? Eben. (Alex Stranig, RONDO, 20.5.2016)