Als gemeiner Österreicher ist man Neustart-Ansagen gewohnt. Wie oft mussten wir in den vergangenen Jahren von Vertretern der SPÖ oder ÖVP hören, dass man künftig einen neuen Stil pflegen wolle und jetzt wirklich – also ganz echt jetzt – noch einmal voll durchstarten wolle? Auch Neo-Kanzler und SPÖ-Chef Christian Kern hat nun eine Neustart-Rede gehalten. Diese war aber doch anders. Erfrischend anders. Der Kernsatz (das wird der einzige Namenswitz bleiben, versprochen!): "Wenn wir jetzt nicht kapiert haben, dass das unsere letzte Chance ist, dann werden die beiden Großparteien und diese Regierung von der Bildfläche verschwinden. Wahrscheinlich völlig zu Recht."

Diese offene Art der Selbsterkenntnis und die Abrechnung mit der "Machtversessenheit" sind neu. Das ist die richtige Basis für die Ausrichtung einer Politik, die endlich weniger Wert auf die eigene Befindlichkeit legt als auf Lösungen. Doch wie soll die zuletzt zutiefst zerstrittene SPÖ das schaffen? Kern versucht es statt mit einer ideologischen Einengung mit mehr Breite. In der wichtigen Frage der Asylpolitik versucht der Manager, Vertreter aller roten Meinungen ins Boot zu holen.

Die Frage ist nur, ob sich das ausgeht. Ist es möglich, die beiden Pole Menschlichkeit und subjektive Sicherheit so abzudecken, dass eine Geschlossenheit der Partei übrig bleibt? Der Spagat, den Kern versucht, sowohl die FPÖ-freundliche und asylkritische Niessl-Fraktion als auch die Willkommenskultur-Vertreter zu einen, ist die wohl schwierigste Herausforderung für den Ex-ÖBB-Chef. Allerdings hatte er keine andere Chance, denn noch eine 180-Grad-Wendung in der Asylfrage, die einer der Hauptgründe für den Abgang Faymanns war, wäre fatal. Also versucht es Kern mit der Breite und verkündet selbstbewusst, dass er seine Partei so ausrichten wolle, dass sie den Führungsanspruch stellt – die Schmiedl-Schmied-Umkehrung sozusagen.

Die Frage, ob es künftig eine Zusammenarbeit mit der FPÖ geben werde, hat Kern praktisch vertagt, aber gleichzeitig klargestellt, dass seine SPÖ nicht mit einer Partei zusammenarbeiten werde, die gegen Menschen und Minderheiten hetzt. Angedeutet hat er seine Haltung zur FPÖ auch mit der Ansage, dass er bei der Hofburg-Wahl Van der Bellen wählen wird.

Zurück zur Breite. Kern versucht diese auch mit seinem neuen Team abzudecken. Mit Muna Duzdar holt er die erste Frau mit Migrationshintergrund als Staatssekretärin ins Kabinett. Eher ein symbolischer Akt, aber dennoch ein Signal in Richtung linker Flügel. Die rechte Flanke wird weiterhin von Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil abgedeckt. Auch Thomas Drozda wechselt wie Duzdar von Wien in die Bundespolitik, was Bürgermeister Michael Häupl, der Kerns Konkurrenten Gerhard Zeiler als neuen Parteichef bevorzugt hätte, wieder weniger grantig machen könnte.

Spannend wird, ob die neue Bildungsministerin Sonja Hammerschmid, die mit der ÖVP unipolitisch ganz gut kann, für die SPÖ auch schulpolitisch punkten wird können. Mit Jörg Leichtfried als Infrastrukturminister hat Kern schon für die ÖBB eng zusammengearbeitet, zwischen beiden dürfte es gut funktionieren.

Schwieriger könnte es mit der ÖVP werden. Hier warnt Kern "politische Selbstmordattentäter" vor einer Neuwahl. Diese Aussage war zwar nicht Kanzler-like, aber richtig, denn aktuell bliebe von Rot und Schwarz nicht mehr viel übrig. (Rainer Schüller, 17.5.2016)