Immer wieder Leute tauschen, wenn sie verbraucht sind? Es muss nicht so weit kommen.

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In den arbeitspsychologischen Sprechstunden, die ich in unterschiedlichen Unternehmen regelmäßig abhalte, sowie in Untersuchungen mittels medizinischer Hochtechnologie zur Messung der Balance von Spannung und Erholung hat sich in den letzten zehn Jahren ein deutlicher Anstieg der Kritik an immer überbordender Bürokratie und Verwaltungsarbeit gezeigt. Der Anteil der Arbeitszeit, die für das Verwalten von Datensätzen zur Verfügung gestellt werden muss, übersteigt (gefühlt) bereits jenen, der der eigentlichen Arbeit vorbehalten sein sollte.

Diese Entwicklung lässt sich in so gut wie jeder hierarchischen Position feststellen. Führungskräfte beklagen immer mehr, kaum mehr zum Führen zu kommen, weil sie vielmehr von Führungskräften zu Verwaltungskräften mutiert sind. Gleichzeitig steigt das Gefühl, von "denen, die das da oben entscheiden", völlig abgekoppelt zu sein, nicht mehr in den eigenen Bedürfnissen, vor allem aber gar nicht mehr in den realen Leistungs-Belastungs-Grenzen eines Menschen wahrgenommen zu werden.

Die Kombination von erhöhtem Spannungsdruck und dem Eindruck, mehr und mehr "robotisiert" zu werden, hat natürlich sowohl eine Verringerung von Motivation, den Verlust an Wohlbefinden und Verbundenheit mit dem Unternehmen als auch einen stetig ansteigenden Weg in Krankheiten zur Folge.

Produktiver ohne Lust auf den Job?

Kurz, wenn ich jeden Tag wo hingehen muss, wo ich mich nicht wohlfühle, und dort Arbeiten verrichten muss, deren Sinnhaftigkeit ich nicht nachvollziehen kann, dann darf sich niemand wundern, wenn die Suche nach Produktivitätssteigerung immer weniger von Erfolg gekrönt ist. Wenn dann noch Berater ins Haus geholt werden, deren Weisheit sich letztendlich darin erschöpft, den generellen Druck auf die dort überlebenden Tätigen zu erhöhen, paaren sich Unwillen und Ärger mit Erschöpfung und Angst, was den Glauben der Steuernden an weiteres Wachstum eigentlich recht blöd ausschauen lässt.

Für die arbeitenden Menschen ergibt sich in Kombination mit trotzdem steigenden Ansprüchen in puncto Optimierung, Leistungssteigerungen, Kosteneinsparungen, Personalreduktionen, Erhöhung der Geschwindigkeiten von Arbeitsprozessen eine Unmöglichkeit von Kommunikation, Beziehung, Wohlbefinden und Gesundheit.

Super, das rettet sowohl die Wirtschaft als auch die Volkswirtschaft. Es scheint, dass uns die guten Geister nicht verlassen haben, sondern einfach einer Verwaltungsreform zum Opfer gefallen sind. Aber da der Mensch letztendlich ein Homo ludens ist und bleibt, probiert er eben so lange, bis das Spielzeug kaputtgeht und er sich ein neues besorgt.

Erkenntnisse ignorieren

Die Rattenexperimente bezüglich "flight or fight" der Wissenschaft aus den 70ern scheinen jetzt von weniger wissenschaftlichen Personen an Menschen weitergeführt zu werden – mit allen negativen Konsequenzen, die schon immer bekannt waren, weil es den Menschen schon ein Weilchen gibt, die uns von den Neurowissenschaften der letzten zehn Jahre so deutlich und schön bunt immer wieder vor die Nase gehalten werden, aber trotzdem agieren immer noch viele so, als gäbe es all diese Erkenntnisse einfach nicht und machen weiterhin mehr vom Gleichen.

Es scheint, dass die tradierten Muster weiterhin so gut gelernt sind, dass die Museumswärterei die eigentliche Hintergrundfähigkeit von Menschen geworden ist.

Dies trifft noch dazu auf die aufkeimende Theorie, dass die Intelligenz des Menschen seit dem 19. Jahrhundert wieder abnimmt.

In allen Organisationen finden sich immer wieder Menschen, die etwas gelernt haben, das Loyalität heißt, denen die Sache so wichtig ist, dass sie auf ihre eigenen Bedürfnisse vergessen, die aufgrund permanent hoher Stresshormonvergiftung nicht mehr imstande sind, sich selbst noch irgendwie wahrzunehmen. Diese melden dann der Organisation lange zurück, dass ohnehin alles bestens oder irgendwie okay ist, werden damit gerne zum Benchmark und fallen dann plötzlich und immer öfter auch endgültig aus.

Aber wie kann die Gefährdung Einzelner rechtzeitig erkannt werden, wenn in der Organisation keine Zeit mehr für die eigentlichen Führungsaufgaben bleibt. Hier besteht echter Handlungsbedarf, der sich ganz sicher nicht durch irgendwelche simplen Befragungstools ersetzen lässt. Ablassverkäufer rennen zwar zuhauf herum, aber diese Vorgangsweisen verschlimmern die Gesundheits-Leistungs-Situation in der Zukunft, weil Schönfärberei eben nur Fassadenkosmetik ist.

Drei Grundtypen

Die häufigsten drei krankmachenden Organisationsformen sind erstens die Druckorganisation – sie arbeitet mit den althergebrachten Managementmethoden, die sehr gerne neue Namen annehmen, so dass dann alle glauben, etwas völlig Neues zu können und trotzdem nix verändern zu müssen. Wunderbar, Zaubern für Arme. Ruderer und Trommler werden eben bei Erschöpfung ausgetauscht. Zweitens die gehetzte Organisation – sie jagt sich und die Ihren im Spagat mit zu vielen Beinen auf einmal. Die Organisation der "Roboter"-Menschen als dritter Grundtyp der Krankmacher erachtet Mitarbeiter als straff zu steuern. Sie müssen angeleitet, angetrieben und bis in den kleinsten Winkel kontrolliert werden.

Zu all diesen Modellen gibt es natürlich Mischtypen und Variationen. Allen gemeinsam ist eine besonders hohe Form der Spannung – auch Stress genannt. Innerer hoher Spannungsdruck ist also die biologische Tapferkeitsmedaille, nur wer Opfer bringt (vor allem sich selbst), ist wertvoll und richtig. Viele dieser Ansichten treiben sich unerkannt im Unbewussten viel zu vieler Gehirne herum, und wo Umlernen nie stattgefunden hat, bleibt das ebenso über Generationen hinweg.

Die Entlastungsorganisation

Die Entlastungsorganisation: Hier gibt es die Suche nach Wegen zum Wohlfühlen als Voraussetzung und Basis für Arbeit und Leistung. Es wird immer wieder in unregelmäßigen Abständen nach Wünschen gefragt, und daraus erfolgen Umsetzungen, an denen alle beteiligt sind. Erwachsene arbeiten mit Erwachsenen auf Augenhöhe zusammen, und Mitarbeiterwissen bleibt kein mit nach Hause genommenes Geheimnis. Beziehungspflege findet statt, bekommt Raum, reduziert nebeneinander und gegeneinander Arbeiten, eliminiert die Schuldigen- und Unschuldigensuche, erhöht die Motivation und den Leistungseinsatz durch Abbau der permanenten Cortisolvergiftung fast wie durch Zauberei. Natürlich bleiben die stetigen Anforderungen aus der globalisierten Wirtschaft, aber Wohlfühlen bedeutet auch, sich eine hohe Flexibilität leisten zu können, weil ausreichend Kraft und Motivation vorhanden sind, weil mögliche Probleme schon im Vorfeld definierbar sind, denn es gibt Zeit und Raum zum Vor-, Mit- und Nachdenken. Führen ist hier Anleiten und Begleiten, nicht Schubsen, Drängen oder Unterdrücken.

Und diese Organisation ist nicht völlige Utopie, sie wird in Einzelbereichen bereits positiv erprobt gelebt, wobei alle Beteiligten umlernen mussten, die Arbeitenden in ihrer Sicht von Arbeit an sich, die Führungen in ihrer Sicht des Führens an sich. Das lässt sich natürlich nicht im so gerne gewählten Zweitageseminar (gehirntechnisch nicht einmal Fassadenkosmetik, denn Lernen geht anders, Umlernen noch einmal anders) erlernen, hier braucht es konkrete beständige Begleitung, Mediation, Anleitung, sanfte Überzeugung zur Sichtweisen- und Einstellungsveränderung, langsames Erlernen völlig anderer Methoden, Vertrauen, Loslassen vertrauten Unsinns, Entängstigen, Bestärken.

Die Effekte sind greifbar, messbar, beobachtbar und spürbar, mit allen herkömmlichen Messmethoden. Auch ein Weg, aber was für einer. (Johann Beran, 29.5.2016)