Wien – Die Methoden, mit denen ein Horrorfilm auf sein Publikum losgeht, lassen sich in unterschiedliche Grade von Direktheit unterteilen. Die Skala geht von subtil bis Vorschlaghammer – von der als hochwertig geltenden Kunst der Andeutung über die direkte Konfrontation mit dem Schreckensbild bis hin zur möglichst drastischen Attacke auf den Zuschauermagen.
Ann Radcliffe, die erste Meisterin des englischen Schauerromans (The Romance of the Forest, 1791), hat 1826 zwischen "terror" und "horror" unterschieden: Ersterer spiele bloß mit der Möglichkeit des Schrecklichen, Letzterer – nach Radcliffe die mindere Variante – hingegen lasse die Androhung wahr werden.
Der US-Horrorfilm The Witch sorgte auf dem letztjährigen Sundance Festival für einige Furore und bekam den Preis für die beste Regie. Und das zu Recht: Regisseur Robert Eggers kreiert in seinem Debüt ein effektives Zusammenspiel von Sichtbarkeit und Suggestion. Die Erzählung ist als Gothic Novel in ihrer Märchenhaftigkeit archetypisch: Eine siebenköpfige Familie lebt im Neuengland des 17. Jahrhunderts am Waldrand, isoliert vom Rest der Welt. Dann kommt die Hexe.
Doch bereits ohne die Bedrohung von außen trägt das Familiengefüge von Beginn an wahnhafte Züge: Vater William (Ralph Ineson) hat sich mit der Gemeinde verkracht und das sichere Dorf verlassen müssen. Nun hockt man unglücklich in der kargen Landschaft und reibt sich aneinander auf. Die Bäume rauschen, die Maisernte ist mager, die Nächte sind undurchdringlich schwarz. William klärt seinen Sohn (Harvey Scrimshaw) über die Sündhaftigkeit aller Menschen auf, die eigene Brut natürlich eingeschlossen, während dieser seiner älteren Schwester Thomasin (Anya Taylor-Joy), von Schuldgefühlen gebeutelt, bei jeder Gelegenheit in den Ausschnitt schaut.
Leichtes Spiel für Monster
Wo die Verbindungen der Menschen untereinander porös geworden sind und sie von unterdrücktem Begehren und religiös fundierter Angst erfüllt sind, haben die Monster leichtes Spiel. In The Witch fällt das Böse noch im ersten Akt in die zunächst noch latent, später manifest hysterische Familie ein. Das jüngste Kind wird Thomasin am helllichten Tag buchstäblich unter den Augen weggestohlen – es wird nicht wieder auftauchen. Der Film langt hier zum ersten Mal richtig zu: Was mit dem Baby im Wald geschieht, bekommt man in schattenreichen Bildern nur angedeutet, die dennoch genug erkennen lassen. Von solchen überraschenden und präzise inszenierten Schockmomenten gibt es in diesem zermürbenden Film einige.
Robert Eggers kocht das Geschehen mehr und mehr hoch. Misstrauen macht sich breit. Thomasin, als Pubertierende von ihren Eltern bereits argwöhnisch beäugt, wird der Hexerei verdächtigt. Dann verschwindet das zweite Kind im Wald. Der statische, dissonante Soundtrack klopft die Nerven weich, und je mehr sich dieser Film dem Ende nähert, um so fiebriger werden seine Bilder.
The Witch widerspricht Radcliffes Hierarchie von Suggestion und Direktheit, indem er beides miteinander verwebt. Das kommt im Horrorfilm inzwischen selten vor, Eggers' suggestive Schreckensmomente jedoch wirken nachhaltig beklemmend. The Witch trifft mit traumwandlerischer Sicherheit den wunden Punkt: die Schutzlosigkeit der Jüngsten. (Benjamin Moldenhauer, 20.5.2016)