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Das zerstörte Spital in Kundus.

Foto: Reuters

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42 Menschen kamen hier bei einem US-Luftangriff ums Leben.

Reuters/Josh Smith

Psychologin Sylvia Wamser war mehrere Monate vor Ort.

Foto: Ärzte ohne Grenzen

Wien – Erst vor Ort, sagt Sylvia Wamser, "begreift man die Dimension dessen, was passiert ist". Die 67-jährige Psychologin reiste ins afghanische Kunduz, kurz nachdem dort im Oktober 2015 ein von Ärzte ohne Grenzen betriebenes Krankenhaus durch einen US-Luftangriff zerstört worden war und 42 Menschen ums Leben gekommen waren. Sie sollte dort den Bediensteten helfen – jenen also, die sich im Traumaspital eigentlich um geschockte Einheimische kümmern und nun selbst traumatisiert sind.

Nach mehreren Monaten in Afghanistan berichtete die Grazerin bei der Präsentation des Jahresberichts von Ärzte ohne Grenzen am Donnerstag von ihren Erfahrungen. Für die 460 Beschäftigten sei es ein Schock gewesen, "weil alle dachten, dass das Spital der sicherste Ort sei". Und das Trauma setzte sich fort, weil die Verletzten nur notdürftig versorgt werden konnten – schließlich wurde das Equipment zerstört.

Keine Blutbeutel vorhanden

Notoperationen etwa wurden auf dem Küchentisch durchgeführt, erzählt Wamser. Ein Verletzter, berichtete ihr ein Kollege in Kunduz, habe eine lebensnotwendige Bluttransfusion benötigt. Ein Spender wurde gefunden – doch dafür mangelte es an Blutbeuteln.

Das Unverständnis, weshalb geschehen sei, was geschehen ist, dominiert immer noch das Leben in Kunduz. Nur langsam, sagt Wamser, kehrt für die Betroffenen so etwas wie ein geregelter Tagesablauf ein. Erst kürzlich sei ein Volleyballplatz wiedererrichtet worden. "Physische Betätigung ist ganz wichtig, um das Trauma zu bewältigen", sagt Wamser.

Unabhängige Untersuchung gefordert

Die Trümmer des Spitals blieben so gut wie unberührt. Viele Einheimische meiden sie, sagt Wamser. Dafür treibt die Überlebenden weiter die Frage nach dem Warum um. Das Ergebnis einer internen Untersuchung des US-Militärs blieb unzufriedenstellend. Mario Thaler, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen Österreich, forderte einmal mehr eine unabhängige Untersuchung. Der Angriff war übrigens kein Einzelfall. Die NGO dokumentierte im vergangenen Jahr weltweit 106 Angriffe auf 75 Spitäler, die von ihr betrieben wurden.

In der Flüchtlingskrise hat Ärzte ohne Grenzen die Verschärfung des österreichischen Asylgesetzes kritisiert. "Es ist nicht akzeptabel, dass ein Notstand ausgerufen wird, wo keiner ist", sagte Präsidentin Margaretha Maleh und appellierte an den neuen Kanzler Christian Kern, diesen Schritt zu überdenken. (Kim Son Hoang, 19.5.2016)